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Männer hinter dem Lenkrad

Die Berliner Verkehrsverwaltung schottet den höheren Dienst gegen Frauen ab / Bei Planungen werden Fußgänger und Anwohner vergessen  ■ Von Dirk Wildt

Männer fahren nicht nur gerne selbst Auto – in Berlin verhindert ein stillschweigender Bund aus Referats- und Abteilungsleitern, Staatssekretären sowie Senatoren seit Jahren erfolgreich, daß Frauen wenigstens bei der Planung von Verkehrvorhaben mitentscheiden können. In der Senatsverkehrsverwaltung arbeitet keine einzige Frau im höheren Dienst – und das obwohl jede zweite der über dreihundert Beamten und Angestellten der Verwaltung eine Mitarbeiterin ist. Dabei schreibt ein seit 1991 in Kraft gesetztes und später novelliertes Landesgleichstellungsgesetz (LGG) vor, auch die führenden Positionen quotiert zu besetzen. Bei Einstellungen und Beförderungen müßte die von der CDU geführte Verkehrsverwaltung Frauen bevorzugen.

Zum ersten Mal in der Geschichte Berlins erstattete die Senatorin für Arbeit und Frauen, Christine Bergmann, in diesem Monat Bericht über die Besetzungspraxis der öffentlichen Hauptstadt-Verwaltung. Eine „extreme Unterrepräsentanz“ von Frauen im höheren Dienst machte die SPD-Politikerin in der Finanzverwaltung (17,7 Prozent), in der Wirtschaftsverwaltung (14,4 Prozent), der Innenverwaltung (4,6 Prozent) sowie der Verkehrsverwaltung (0 Prozent) aus. So einzigartig die Untersuchung für die Bundesrepublik sein soll, so folgenlos scheint das Gleichstellungsgesetz allerdings zu sein. Denn obwohl die drei CDU- und ein SPD- Landesminister die Vorgaben des Gesetzes offenbar nur ungenügend erfüllen oder dagegen verstoßen, mußte sich das geoutete Quatro von Machtmachos bislang politisch nicht einmal verantworten.

Dabei hat die Ausgrenzung von Frauen drastische Folgen, die im Falle der Verkehrsverwaltung selbstredend ihre Fortsetzung in der Stadtgestaltung finden – und zwar amtlich. Ein Gutachten, das Michaele Schreyer als grüne Amtsvorgängerin des jetzigen CDU- Stadtentwicklungssenators in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Schluß, daß bei Planungen Fußgänger, Radfahrer und Anwohner vergessen werden und wurden. In dem Innenstadtbereich mit seinen 1,1 Millionen Einwohnern seien Bürgersteige zu eng, Straßen zu gefährlich und die durch Autounfälle verursachten Kosten für Sach- und Personenschäden inakzeptabel. In den 260 Kilometer langen Hauptstraßen des Untersuchungsgebietes gebe es nur auf weniger als einem Achtel eine wünschenswerte Aufteilung zwischen Fahrbahnen, Parkplätzen und Fußwegen. Auf einer Länge von 45 Kilometern nehmen Fahrspuren sogar mehr als zwei Drittel des gesamten Straßenraumes ein.

Der Grund für diese eindeutige und ungerechte Bevorzugung von Verkehrsteilnehmern, die ein Auto benutzen, ist in Männerköpfen verborgen. Eine Untersuchung des Münchner Forschungsinstituts „Socialdata“ hat herausgefunden, daß Menschen mit XY-Chromosomen zwischen 20 und 59 Jahren den eigenen PKW am häufigsten benutzen: bei drei von fünf Wegen drehen sie den Zündschlüssel in Startposition. Daß diese Gruppe „ihre Männer“ auf allen leitenden Positionen der Verkehrsverwaltung „geparkt“ hat, ist aber aus einem anderem Grunde verhängnisvoll: Männer zwischen 20 und 59 haben große Schwierigkeiten, von ihren autofixierten Mobilitätsbedürfnissen zu abstrahieren und Wünsche anderer Altersgruppen oder der Frauen überhaupt wahrzunehmen. Socialdata hat herausgefunden, daß Verkehrsplaner und Politiker glauben, zwei Drittel der Bundesbürger seien gegen eine Bevorteilung des öffentlichen Nahverkehrs, wenn dadurch der Autofahrer benachteiligt würde. Tatsächlich, so das Forschungsinstitut, sei das Verhältnis aber umgekehrt: Drei Viertel aller Bundesbürger würden in jedem Fall die Einrichtung etwa von Busspuren oder die Wiederbelebung der Straßenbahn begrüßen. Die große Mehrheit aus Kindern und Jugendlichen, die ja noch keinen Führerschein haben, Frauen, die in der Regel für Einkauf und Kindererziehung zuständig sind, sowie aus Rentnern und Versehrten benutze für ihr Fortkommen nämlich viel häufiger die eigenen Füße, das Fahrrad und Bahn oder Bus.

In Berlin hat es die Verkehrsverwaltung in den vergangenen fünf Jahren bezeichnenderweise versäumt, das Radwegenetz zu verlängern. Sie hat das Busspurnetz verkürzt, Tempo-30-Zonen verkleinert und in Zusammenarbeit mit dem männerdominierten Abgeordnetenhaus die Zuschüsse an die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) um dreistellige Millionenbeträge gekürzt. Gleichzeitig wurden in dem für die kommenden zwanzig Jahre geltenden Flächennutzungsplan der Neubau von 20 Kilometer Autobahn und 50 Kilometer Schnellstraßen festgelegt. Die Stadt soll in ihrer Mitte einen neuen Zentralbahnhof erhalten, für den demnächst der Tiergarten aufgebuddelt wird, um Platz für Eisen- und U-Bahn-Tunnel sowie vier Autoröhren zu schaffen. Gleichzeitig zu dem Jahrhundertbau basteln Minister und ihre Mitarbeiter an einem 20 Milliarden Mark schweren neuen Großflughafen. Angemessene Maßnahmen gegen die alltägliche Verkehrsüberlastung? Planungen für die große Mehrheit Autoloser?

Das Landesgleichstellungsgesetz sehe keine Möglichkeiten vor, gegen jene vorzugehen, die offensichtlich gegen dessen Vorgaben verstoßen, sagt die Sprecherin der Frauenverwaltung, Bettina Martin. Der gerade veröffentlichte Bericht soll immerhin politischen Druck ausüben. Die Sprecherin rät Frauen, die sich bei Bewerbungen ungerecht behandelt fühlen, das Verfahren bei der Frauenverwaltung zu beanstanden. Vor einer Beanstandung hätten die Ämter, ob nun auf Kommunal- oder Landesebene, Angst, weil automatisch das Bewerbungsverfahren ausgesetzt und dadurch eine Stellenbesetzung erheblich verzögert würde.

Die zuständigen Frauenbeauftragten können häufig bei der Benachteiligung von Bewerberinnen ihren Kontrollauftrag nicht einmal ausreichend erfüllen. „Man wird überhaupt nicht ernst genommen“, sagt Kirsten Zobel, Frauenvertreterin im Haus Haase. Bei der Vergabe einer Planungsstelle könne sie mangels Sachkenntnis gar nicht beurteilen, ob eine abgelehnte Bewerberin nicht doch geeignet gewesen wäre. Zobel wird den Eindruck nicht los, daß hinter ihrem Rücken „Stellen verschoben“ werden. Die Kooperation mit dem Personalrat und der Personalabteilung sei schlecht, wichtige Informationen erhalte sie nicht oder zu spät.

Die Verkehrsverwaltung dagegen begründete die bevorzugte Einstellung von Männern auf eine Anfrage der taz schon 1992 damit, daß sich für gehobenere Laufbahnen „einfach keine Frauen bewerben“. Über solche Begründungen lacht sich Holger Hillmer vom Verein deutscher Ingenieure (VDI) in Düsseldorf kaputt. Wenn ein Ministerium es nicht einmal schaffe, in der Pressestelle eine „Alibifrau“ einzustellen, „dann haben die doch geschlafen“. Auch dem Dementi von Verkehrssenator Herwig Haase, die Politik seiner Verwaltung sei nicht männlich geprägt, widerspricht der VDI- Mann, der kommissarisch die Leiterin des „Arbeitskreises Frauen im Ingenieurberuf“ vertritt. „Das liegt doch nahe, daß Frauen in allen politischen und technischen Bereichen vertreten sein müssen“, kontert Hillmer, „die haben schließlich spezifische Sichtweisen“. Um die Durchsetzungsfähigkeit von Ingenieurinnen zu fördern, veranstaltet der VDI nächstes Wochenende zum sechsten Mal ein überregionales Treffen.

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