: Das giftige Gold der Gringos
Wie 440 Tonnen Antimon in Bolivien zu Giftmüll mutieren, wohlmeinende Umweltschützer Gerüchte lancieren und eine Frau ihr Leben verliert. Ein Krimi ■ von Thomas Pampuch
Manchmal können Gerüchte toxischer sein als ein Mineral. Im Sommer 1992 hatte die Frankfurter Metallgesellschaft AG (MG) 440 Tonnen goldhaltigen Antimonkonzentrats aus der tschechischen Mine Krasna Hora auf dem internationalen Markt zum Verkauf angeboten. Davon wußte auch der bolivianische MG- Vertreter Dietrich Hausherr, und er, der gleichzeitig als Konsul in La Paz Österreich vertritt, erinnerte sich an einen schrulligen Landsmann. Dieser Mann, Joachim Plöchl, lebt seit Jahren in einem verlassenen Minencamp eine Tagesreise von La Paz entfernt. Bei seinen Besuchen in der Hauptstadt hatte er immer wieder verkündet, über eine Geheimformel zur Goldgewinnung zu verfügen. Hausherr ließ Plöchl eine Probe des MG- Materials zukommen, die Plöchl vielversprechend fand. Er machte sich auf die Suche nach einem Geldgeber für das Projekt.
Nun traf es sich, daß ein deutscher Unternehmer, Alfons Walz, der für allerlei Geschäfte mit Gold in Bolivien die „Siguani Gold Placer Bolivia S.R.L.“ betreibt, gerade mal wieder auf Goldsuche war. Im November 1992 kaufte die Siguani der MG das Antimon für 187.000 US-Dollar ab. Siguani sicherte Plöchl als Lohnverarbeiter 15 Prozent zu und versprach weitere 21,5 Prozent als Gewinnbeteiligung. Dafür verpflichtete sich Plöchl, aus dem Antimon 42 Kilo Gold zu extrahieren. Siguani-Geschäftsführer Klaus Matzke kümmerte sich um den Transport. Im April 1993 dann standen 470 „Big Bags“ aufgereiht vor einer ausgeweideten alten Kirche: mitten in Plöchls Minencamp Chambilaya.
Besucht man den Chemiker und Erfinder Joachim Plöchl, erweist er sich als ein freundlicher Aussteiger mit Wiener Tonfall. Auch nach Jahren in Bolivien spricht er fast kein Wort Spanisch, sondern verständigt sich mit seinen acht Angestellten in einer Mischung aus Latein und Deutsch. Seit drei Jahren hat er Lastwagen voller Apparaturen nach Chambilaya hochkarren lassen, dazu 4.000 Bücher. Sein Laboratorium richtete er in der alten Kirche des Camps ein. Und geht es um seine Goldextraktion, tut er geheimnisvoll.
Vor einigen Jahren war Plöchl unter etwas obskuren Umständen mit seiner „Ersten Niederösterreichischen Gold- und Silberscheideanstalt“ pleite gegangen und nach Bolivien gekommen, um nun dort seine Kenntnisse der Goldgewinnung fruchtbringend anzuwenden. In Chambilaya fand er das ideale Ambiente: Berge wie in Tirol, bloß höher, Ruhe und in der Nähe eine Kleinstadt voll von arbeitslosen mineros. Dort, in Quime, pflanzte er zunächst mal Bäume, 3.000 sind es inzwischen.
Den ersten Ärger bekam er, als das Gerücht auftauchte, er würde Kokain herstellen. Ein Trupp der Antidrogeneinheit UMOPAR trat ihm die Kirchentür ein. Plöchl protestierte auf lateinisch, was wenig half. Zufällig aber hatte der Kommandant des Trupps beim BKA in Wiesbaden studiert und sprach deutsch. So klärte man die Sache. Dankbar lud Plöchl die UMOPAR-Leute in Quime zum Essen ein. Nun glaubten alle, er teile seinen Gewinn mit den Polizisten.
Doch auch das störte den Frieden von Chambilaya nicht wirklich. Erst das Auftauchen der Säcke führte zu einer gewissen Unruhe. 470 Jahre lang hat Bolivien Mineralien nach Europa geliefert: Silber, Gold, Zinn, Antimon. Warum schickten Europäer plötzlich Mineralien nach Bolivien? Das tschechische Konzentrat paßte nicht in das Bild des jahrhundertelangen Einbahnverkehrs.
Erste Gerüchte kursierten. Ein Nachbar Plöchls behauptete, er könne riechen, daß das Zeug radioaktiv sei. Der katholische Sender San Gabriel verbreitete die Nachricht, und der Pfarrer von Quime warnte vor dem Luzifer von Chimbalaya. Bis dahin war die Angelegenheit eine Provinzposse irgendwo auf dem Weg von der Königskordillere in die tropischen Yungas – und hätte es auch bleiben können. Es war die Gier der Gringos nach Gold, die Unfähigkeit der bolivianischen Behörden, aber auch eine über die Grenzen des Landes hinausreichende Panikmache, die die Posse in jene Tragikomödie verwandelte, die ein bolivianischer Journalist mit den Worten „zum Lachen, zum Weinen, zum Kotzen“ kommentierte. Es kam zum Streit zwischen Plöchl und Siguani. Vielleicht, weil der Wert des Antimons (ein Zusatz für Farben und Legierungen) inzwischen weit über den des darin enthaltenen Goldes gestiegen war. Und Plöchl hatte keineswegs sofort mit der Goldextraktion begonnen. Er wollte zunächst grünes Licht von dem im August 1993 neu gegründeten bolivianischen Umweltministerium. Und das dauerte. Da half es auch wenig, daß ein unabhängiger Gutachter, der Geologe Lothar Winkelmann von der Cooperación Geologica boliviano-alemana, das Material untersucht und nichts Schlimmes gefunden hatte, „fachmännische Lagerung natürlich vorausgesetzt“ (Für Fachleute: Au 98 ppm, Sb 41,09%, Pb 0,05% As 2,5% (als Sulfid) Zn 1,0%, Cu 0,1%, Ni, 0,1%, Co 0,02%). Doch Winkelmanns Analyse geriet im Laufe der Ereignisse völlig in Vergessenheit.
Obwohl das bolivianische Umweltministerium schließlich am 23. November 1993 die Extraktion genehmigt hatte, war im März 1994 immer noch kein Gold bei Siguani eingetroffen. Daraufhin reichte Kurt Matzke beim Generalstaatsanwalt von La Paz, Javier Dips, Strafanzeige wegen Betrugs ein: Plöchl habe mehrere Kilo Gold unterschlagen. Der schneidige Staatsanwalt entschied, daß das Material aus Chambilaya erst mal wegmüsse. Man wählte die Ortschaft Patacamaya, ein windiges Altiplano-Städtchen an der Straße nach Oruro. Mitte Juni erschienen bei Plöchl Polizisten mit Lastwagen und fingen hastig an, die Riesensäcke zu verladen. Viele gingen kaputt. In Patacamaya wurde das Zeug einfach in zwei Höfe gekippt. Niemand hielt es für nötig, die Bevölkerung aufzuklären.
Mit dem Antimon gelangten auch die Gerüchte aufs Altiplano, dafür sorgte schon der Pfarrer von Quime. Sein Kollege in Patacamaya, Padre Leonardo, ein liebenswerter, engagierter alter Spanier – „man muß mit dem Volk sein, und manchmal muß man sich auch mit dem Volk irren“ –, konnte sich keinen rechten Reim darauf machen, was das Zeug mitten in seinem Ort sollte. Die Winde bliesen den Antimonstaub durch die Straßen, es stank nach Schwefel, die Leute im Städtchen husteten und ärgerten sich.
Zufällig lag der Hauptsitz von PAC II, einem Projekt der EG zur bäuerlichen Entwicklung, zwei Blocks von dem neuen Antimonlager entfernt. Auch den PAC-Ingenieuren war das Zeug nicht geheuer, sie litten unter Kopfweh und schickten eine Probe des Materials an den geologischen Dienst Boliviens, GEOBOL, zur Prüfung auf Toxizität. Obwohl praktisch im Nebenzimmer bereits Winkelmanns Analyse lag, antwortete der Dienst derart schlampig, daß die Zweifel sich mehrten. In Bussen verließen die Entwicklungshelfer fluchtartig den Ort.
Nun gab es in Patacamaya kein Halten mehr. Panik breitete sich aus. Eine Frau behauptete, im zehnten Monat schwanger zu sein, ein Hund starb, die Luft schien von Radioaktivität und Giften geschwängert. Als Padre Leonardo die Analyse von GEOBOL – völlig zu Recht – zynisch nannte, verklagte der Dienst den armen Padre wegen Verleumdung. Die alarmierten Siguani-Leute versuchten die Wogen zu glätten, indem sie, nach einer Woche, die Antimonhaufen mit Plastikplanen zudeckten und die Mauer um den Hof erhöhten. Das machte das Material nur noch verdächtiger.
Am 10. Juli wurde das Rathaus gestürmt. Der alte Bürgermeister wurde mit Schimpf und Schlägen davongejagt, sein Nachfolger verlangte, der „Giftmüll“ müsse binnen 48 Stunden verschwinden. Der letzte Akt der Affaire begann.
Niemand im Land wollte das „Teufelszeug“ haben, kaum jemand Lastwagen zur Verfügung stellen. Inzwischen war der bolivianische „Giftmüllskandal“ durch verschiedene Nachrichtenagenturen in aller Welt bekannt geworden. Die bolivianische Presse druckte die von ihr selbst lancierten Gerüchte als beglaubigte Tatsachenberichte aus der internationalen Presse nach. An einen geordneten Abtransport des Konzentrats war nicht mehr zu denken.
Am 17. Juli wurde Siguani-Geschäftsführer Klaus Matzke nach Patacamaya beordert. Nur starke Polizeikräfte und Pater Leonardo, der Gütige, konnten verhindern, daß ihm die aufgebrachte Menge ans Leder ging. Matzke unterschrieb unter Druck, daß er das Material wegschaffen werde – ohne zu wissen, wohin. Mühsam von Siguani kontraktierte Kipplader versuchten, das Konzentrat in die Minenstadt Oruro zu schaffen, doch das dortige Bürgerkomitee schickte die Laster umgehend zurück und beschimpfte und bespuckte die Fahrer. Gleiches widerfuhr den Chauffeuren, als sie die Ladung im Alto kurz vor La Paz zwischenlagern wollten. Einge kippten in ihrer Not den „Giftmüll“ in die Gegend.
Minenminister Villalobos bot an, er und seine Familie würden sich freiwillig im dem Konzentrat wälzen. Daß er im selben Atemzug klagte, die Proteste schadeten den Investitionen ins Minenland Bolivien, machte sein Angebot allerdings suspekt. Eine Reihe von Politikern profilierte sich derweil medienwirksam als Giftmüllfeinde.
Der Geisterzug
Am 20. Juli schickte die Regierung einen Zug nach Patacamaya. Ein letztes Aufgebot von Helfern brauchte vier Tage, um das Konzentrat in die Waggons zu schippen. Immer wieder gab es Zwischenfälle, weil die empörte Bevölkerung ihre Wut an den Beteiligten ausließ. Es kam zu Geiselnahmen, einem Ingenieur wurde angedroht, man werde ihn vierteilen, wenn das Zeug nicht bald verschwände. Das Konzentrat war zu einer absoluten „materia non grata“ geworden. Wie in einem Geisterzug fuhr die Ladung drei Wochen kreuz und quer durch Bolivien. Überall, wo sie auftauchte, gab es Auseinandersetzungen mit der Polizei. In Charana, einem kleinen Schmugglerort nahe der chilenischen Grenze, kam es zur Katastrophe: Im Verlauf einer Demonstration gegen den Geisterzug wurde eine Frau, Flora Apaza de Tuco, erschossen. Die Polizisten und das Begleitpersonal konnten sich nur durch Flucht vor der Lynchjustiz retten.
Vielleicht war es diese Tragödie, die zu einer Ernüchterung führte. Die völlig entnervten Siguani-Leute stimmten zu, das Teufelszeug an die große Minero-Genossenschaft FENCOMIN zur Verarbeitung in Oruro zu verkaufen. Den Verlust beziffert Matzke auf 200.000 US-Dollar. Mit Plöchl kam es zu einem Vergleich.
Das nunmehr „naturalisierte“ Mineral wird inzwischen in Oruro zu harten Dollars aufbereitet. Das „Zehnmonatskind“ ist ein gesunder Junge geworden. Staatsanwalt Dips ist zurückgetreten: Er soll seinen Anwaltstitel gefälscht haben. Die PAC-Leute dürfen mit keinem Journalisten reden. Klaus Matzke packt seine Koffer und wickelt Siguani ab. Das Bürgerkomitee von Quime hat sich inzwischen für eine Rückführung des Materials „zum Wohle der Region“ ausgesprochen. Und Plöchl betreibt eine eigene kleine Goldmine, wo er Konzentrate von mineros aus der Umgebung verarbeitet. Greenpeace arbeitet daran, ihn als Öko-Verbrecher zu outen. Und der Tod von Flora Apaza de Tuco ist bis heute nicht aufgeklärt: zu viele Beteiligte.
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