Ein Land wird wiedergeboren

In Mosambik hat der Wahlkampf für die ersten freien Wahlen begonnen, mit denen Ende Oktober die Kriegszeit zu Ende gehen soll  ■ Aus Molumbo Willi Germund

Der Lautsprecher wummert die Bässe so kräftig, daß es auf den Magen schlägt. Aber er bringt Lautstärke. Für ein paar Meticais klemmt der Besitzer die Kabel des Kassettenrecorders an die Lastwagenbatterie auf seinem Fahrrad, und dann übertönt die Musik selbst das Feilschen und Handeln auf der Praca, dem Marktplatz von Molumbo. Ein paar junge Leute – demobilisierte Soldaten – hüpfen und tanzen selbstvergessen, ihre schwieligen nackten Füsse wirbeln Staubwolken auf. Ein paar Mädchen schauen kichernd zu. Die meisten Strohhütten sind neu, in der Umgebung steigen dichte Rauchwolken hoch – Buschfeuer, mit denen die Kleinbauern im neuen Frieden die langen verdorrten Gräser niederbrennen, die während der letzten zwanzig Jahre Krieg die Felder überwucherten.

In einem Baum hängen ein paar Wimpel der ehemaligen Rebellenbewegung „Renamo“. Das Rebhuhn als Wappen soll auch zwei Jahre nach dem Waffenstillstand von Rom beweisen, daß Mosambiks Freischärler nicht zu zähmen sind, obwohl sie ihre Waffen niedergelegt haben: Rebhühner sterben in der Gefangenschaft. Von Mosambiks Nationalflagge ist weit und breit nichts zu sehen. Auch auf die Mosambik seit der Unabhängigkeit 1975 regierende „Frelimo“- Partei fehlt jeder Hinweis.

Das Dorf Molumbo liegt tief im Herzen des ehemals von Renamo kontrollierten Gebiets und nur ein paar Kilometer vom Nachbarland Malawi entfernt. Zehntausende von Flüchtlingen, die dort die Kriegsjahre abgewartet hatten, kehrten während der vergangenen Monate auf eigene Faust zurück. Ein paar Hackmesser, eine Machete, etwas Saatgut und die vage Hoffnung auf eine friedliche Zukunft reichen.

„Ein Land wird wiedergeboren“, freut sich der aus Chile stammende Philip Clark, Leiter des UNO-Welternährungsprogramms (WFP) in Mosambik, während er im Jeep über einen erst kürzlich von Minen geräumten Feldweg rumpelt. Die Zeichen des Neuanfangs sind unübersehbar: Überall wird gerodet, frisch gelockerte Erde verbreitet feuchten Geruch.

Aber die Kleinbauern sind bescheiden. Selten bewirtschaften sie mehr als ein Hektar, obwohl dies auf lange Sicht zu wenig ist und es genügend Land zum Beackern geben würde. „Das ist das verdammte Erbe der Portugiesen“, brummelt Clark, der früher selbst Bauer im Süden Chiles war, „die mußten im Kolonialreich auf den Plantagen arbeiten und durften über Generationen nur ein Hektar bewirtschaften. Jetzt meinen alle, das sei die beste Weise, Land zu bewirtschaften.“

„Vielleicht bleibt alles friedlich“

Die Anbaumethoden stellen nicht das einzige Erbe der Portugiesen dar, die 1975 nach jahrelangem Befreiungskampf verjagt worden waren. Im Schatten einiger Bäume hat ein Nachfahre der früheren Besatzer seinen klapprigen blauen Mercedes-Lastwagen geparkt und verkauft von Plastikschuhen bis zu Ohrringen Ramsch, Krimskram sowie Bier und Konserven. Solche Händler haben schon früher die Ernte der Kleinbauern aufgekauft – wie damals bieten sie auch heute wieder nur mickrige Preise. Die Frelimo-Regierung hatte die Ausbeutung unterbunden, aber nie neue Strukturen schaffen können. Die Kleinbauern stellten schließlich ihre Produktion ein.

Doch die Rückkehrer in Molumbo haben aus ihrer Zeit als Flüchtling gelernt. Um Maniok und Bananen zu verkaufen, schieben sie mit Säcken bepackte Fahrräder zwei Tage lang zum Markt ins Nachbarland Malawi – dort sind die Preise besser. Der 42jährige Lehrer Joao Andrade, der mit einer Gruppe von singenden Kindern eine Lichtung für eine neue Schule säubert, macht keinen Hehl aus den Schwierigkeiten: „Es fehlen Werkzeuge, viele Leute vermissen immer noch einen Teil der Familie. Aber vielleicht bleibt alles friedlich.“

In Mosambik beginnt der Wahlkampf für die ersten freien Wahlen des Landes, die am 27. und 28. Oktober stattfinden und die Ära des Krieges endgültig beenden sollen. Präsident Joaquin Chissano und Renamo-Führer Alfonso Dhlakama streiten sich um die Gunst der Wähler. Aber die Menschen in Molumbo bewegt die Furcht vor neuem Krieg. Überall schwirren Gerüchte herum, daß sich im Busch eine neue Guerilla-Armee namens „Rovumbezia“ versteckt – eine Kombination aus den Flußnamen Rovuma und Zambezia. Die Gruppierung will angeblich für die Unabhängigkeit des mosambikanischen Nordens kämpfen. Gesehen hat sie niemand, gehört hat von ihr jeder, und gemeinsam ist allen eine Meinung: „Wir wollen keinen Krieg mehr.“

Denn die Folgen haben sie kennengelernt. Rund 500.000 Menschen starben seit der Unabhängigkeit im Jahr 1975. Nach Schätzungen der Weltbank bräuchte Mosambik über das nächste Vierteljahrhundert ein jährliches reales Wachstum von fünf Prozent, um auch nur das niedrige Wirtschaftsniveau von 1980 wieder zu erreichen. Mit 80 US-Dollar pro Kopf Einkommen dürfte Mosambik das ärmste Land der Welt sein; 98 Prozent des Bruttosozialprodukts stammen aus Mitteln ausländischer Hilfe – ein Resultat der systematischen Wirtschaftssabotage durch Renamo, die einst von Rhodesien und später von Südafrika ausgehalten und in einem Bericht des US-State-Departments einmal als „Afrikas Rote Khmer“ bezeichnet wurde. Doch die Frelimo- Regierung unter Joaquim Chissano kann ebenfalls kaum mit eigenen Leistungen werben. Die staatliche Verwaltung ist durch und durch korrupt. Ändern würden die Wahlen selbst bei einem nicht ganz unwahrscheinlichen Renamo-Sieg wenig: Die ehemaligen Buschkämpfer besitzen keine kompetenten Kader.

Doch für die Kleinbauern in Molumbo ist entscheidend, was Aldo Ajello, der Leiter der UN- Friedensmission (Unomoz), in der Hauptstadt Maputo gegenüber der taz sagte: „Beide Seiten haben die Kapazität verloren, weiter Krieg zu führen.“ Das liegt nicht nur daran, daß weder Geld noch Waffen vorhanden sind. Nach der Demobiliserung von rund 19.000 Renamo-Kämpfern und etwa 50.000 Regierungssoldaten fanden sich nicht einmal genug Leute, um die auf 30.000 Mann geplante neue Armee zu bilden.