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Wenn Uncle Sam Dollar schickt

... ist das für die Haitianer noch lange kein Grund zur Freude / Nach drei Jahren Militärdiktatur und Embargo ist Haiti abhängiger denn je  ■ Von Andrea Böhm

Washington (taz) – „Bel dan pa di zanmi“ lautet ein kreolisches Sprichwort, was zu deutsch heißt: „Bloß weil einer schöne Zähne hat, ist er noch lange nicht dein Freund.“ Die große Mehrheit der Haitianer hat in den letzten Jahrzehnten gelernt, den Versprechungen und dem Lächeln des großen Nachbarn zu mißtrauen – vor allem, wenn es um „Entwicklungshilfe“ geht. Nun soll nach der Rückkehr des demokratisch gewählten Präsidenten Aristide ein neues Wirtschaftsprogramm dem ärmsten Land der westlichen Hemisphäre auf die Beine helfen.

Während im Pentagon und im Weißen Haus Pläne für „Operation Uphold Democracy“ entworfen wurden, haben Vertreter der Weltbank, der „Interamerican Development Bank“ (IDB), der US- Entwicklungshilfebehörde „Agency for International Development“ (USAID) und Berater Aristides ein Hilfspaket im Umfang von 550 Millionen Dollar für die ersten zwölf Monate nach der Rückkehr des haitianischen Präsidenten geschnürt. Der Löwenanteil des Hilfsprogramms, 375 Millionen Dollar, ist jedoch für die Rückzahlung von Auslandsschulden veranschlagt, die vor allem in den drei Jahren der Militärdiktatur rapide angestiegen sind. Bei der Weltbank und der IDB allein stehen in diesem Jahr 81 Millionen Dollar aus, die beglichen werden müssen. Andernfalls kann sich Haiti nicht für weitere Kredite qualifizieren.

95 Millionen Dollar sollen für humanitäre Soforthilfe aufgewandt werden, nachdem das Wirtschaftsembargo der UNO die ohnehin schon katastrophale Nahrungs- und Gesundheitsversorgung der armen Bevölkerungsmehrheit noch weiter verschlimmert hat. Mit weiteren 85 Millionen Dollar sollen politische und verwaltungstechnische Reformen, Ausbildungsprogramme für Armee und Polizei und für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 1996 finanziert werden. USAID will zudem mit Arbeitsprogrammen rund 50.000 Haitianern über die nächsten Monate Jobs verschaffen.

Ziel des Programms sei, so erklärte der stellvertretende Leiter der Lateinamerika-Abteilung der USAID, Mark Schneider, „Haiti aus seiner Position als Armenhaus der Region herauszuholen“. Hehre Vorsätze, doch just an dieser Stelle erinnern sich viele Haitianer an jene metaphorische Warnung, wonach ein schönes Lächeln mit ebensolchem Gebiß noch kein Freundschaftsbeweis ist.

Anfang der achtziger Jahre hatten das US-Handelsministerium und USAID-Vertreter Haitis Zukunft schon einmal in rosigen Farben gemalt. Das Armenhaus der Region könne zum „Taiwan der Karibik“ werden, erklärte 1982 der damalige USAID-Direktor Peter McPherson vor einem Kongreßausschuß. McPherson wollte mehr Geld, um den „Entwicklungshilfeplan“ für Haiti voranzutreiben, den seine Behörde zusammen mit der Weltbank entworfen hatte: die Umwandlung der haitianischen Wirtschaft in eine Exportökonomie, in der Landwirtschaft und Massenfertigung im Textil- und Elektronikbereich die tragenden Säulen werden sollten. Denn Haiti, so argumentierten die Planer, habe einen entscheidenden Standortvorteil: „billige und willige Arbeitskräfte“.

Seitdem hat USAID nach Angaben des „National Labor Committee“, einer Gewerkschaftsorganisation, rund 100 Millionen Dollar an „Entwicklungsgeldern“ nach Haiti fließen lassen, um den Kooperationswillen der haitianischen Wirtschaftselite für das Exportmodell zu gewinnen. Nach außen hin gab die Behörde standhaft vor, nicht nur den Interessen US- amerikanischer Investoren, sondern auch denen der Armen in Haiti zu dienen. Man schaffe, so hieß es, Arbeitsplätze mit einem akzeptablen Einkommen. Der Bericht einer US-Gewerkschaftsdelegation, die 1991 kurz nach dem Putsch gegen Aristide Haiti besuchte, zeichnet ein anderes Bild: Der durchschnittliche Stundenlohn für FabrikarbeiterInnen, die im Akkord Babykleidung und Unterwäsche für amerikanische Versandhäuser und Kaufhausketten wie „Wal-Mart“, „Sears“ oder „JC Penneys“ zusammennähen, betrug 14 Cents. Sozialleistungen gab es nicht. Eine Haitianerin demonstrierte der Delegation auf einem Markt in einem der Armenviertel von Port-au-Prince, wieviel Lebensmittel sie mit einem Wochenlohn von 5,60 US-Dollar für ihre vierköpfige Familie erstehen könne: zwölf Bananen, vier Zwiebeln, vier Tomaten, drei Becher Mais, vier Suppenwürfel und ein Becher Zucker. Im Verlauf des Handelsembargos sind diese Nahrungsmittel für die meisten Haitianer unerschwinglich geworden – sofern sie überhaupt noch angeboten wurden.

US-Firmen hingegen litten unter den Handelssanktionen ebensowenig wie die haitianische Elite. Letztere verdienten durch Schmuggel Millionen, erstere erreichten 1992 durch Vorsprache beim damaligen US-Präsidenten Bush, daß sie vom Embargo ausgenommen wurden. Allein 1992 wurden US-Firmen von ihren Vertragspartnern oder Subunternehmern in Haiti mit Produkten im Wert von 67 Millionen US-Dollar beliefert. Damit nicht genug: Nach der Ausnahmeregelung der Bush- Regierung für US-Betriebe erklärten mehrere Firmen ihren haitianischen Subunternehmern, sie seien an einer Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen nur interessiert, wenn die Löhne weiter gesenkt würden. Der Stundenlohn wurde daraufhin in mehreren Fabriken auf neun Cents gedrückt. Der in Haiti festgesetzte Mindestlohn betrug 1991 umgerechnet 22 Cent. Über diese Fakten war man sich im US-Handelsministerium und bei der USAID ebenso im klaren wie über die Korruption der Militärs und den Monopolismus der Wirtschaftseliten, die ihr eigenes Land in einen Selbstbedienungsladen umfunktioniert hatten. Doch nicht die Aussicht auf eine soziale Explosion löste in Washington Nervosität aus, sondern der Wahlsieg des Priesters Jean- Bertrand Aristide, der die USA und US-amerikanische Investoren in seinen Predigten immer wieder gegeißelt hatte. Als Aristide kurz nach seinem Amtsantritt eine Erhöhung des Mindestlohns auf 50 Cents pro Stunde, Preiskontrollen für Grundnahrungsmittel und ein Renten- und Krankenversicherungssystem in Aussicht stellte, läutete USAID die Alarmglocken. „Löhne sollten nicht zur Einführung für Sozial- und Wohlfahrtsprogramme dienen“, warnte die Behörde die neue Regierung in Port-au-Prince. Aristides Pläne würden die Preise für haitianische Exportgüter in die Höhe schnellen lassen und ausländische, vor allem US- amerikanische Unternehmen vertreiben. Inwieweit Vertreter der USAID politisch gegen Aristide zu mobilisieren begannen, ist bislang ungeklärt. Der haitianische Geschäftsmann und Aristide-Anhänger Antoine Izmery, der am 11. September 1993 von Todesschwadronen in Port- au-Prince ermordet wurde, erklärte kurz vor seinem Tod in einem Interview, daß ein „Destabilierungsprozeß gegen Aristide bei Treffen des US-Botschafters mit Privatunternehmern sowie Vertretern der Citibank und USAID für notwendig erachtet wurde“. Unbestritten ist, daß die USA sowohl unter der Bush- wie der Clinton- Regierung immer wieder versucht haben, Aristide zur Kooperation mit der haitianischen Wirtschaftselite zu „bewegen“. Auf Druck Washingtons leitete er im Juli 1993 in Miami den Vorsitz einer „Haiti Government/Business Partnership Conference“, an der zahlreiche Vertreter der haitianischen Wirtschaftselite teilnahmen, die den Putsch unterstützt und finanziert hatten.

Nach seiner Rückkehr am 15. Oktober wird Aristide ein Land vorfinden, das nach drei Jahren Militärherrschaft und Embargo faktisch pleite ist – und damit von den USA abhängiger denn je. Mit Geldern von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds ist erst in drei bis sechs Monaten zu rechnen. Die ersten Finanzspritzen müssen also aus Washington kommen. Allein 15 Millionen Dollar braucht Aristide pro Monat, um wieder eine zivile Regierung und Verwaltung in Gang zu setzen. Aristides Handlungsspielraum für soziale und ökonomische Reformen dürfte unter diesen Umständen nicht gerade gewachsen sein. Mit der Entwaffnung und Entmachtung der haitianischen Armee machen die USA seit Beginn der Militärintervention zwar ernst. Doch jene Familiendynastien, die seit Jahren und Jahrzehnten, geschützt durch die Militärs und oft in bestem Einvernehmen mit US-Konzernen, das Land wirtschaftlich unter Kontrolle halten, haben bislang wenig Grund für schlaflose Nächte gehabt. Dazu mag folgendes Detail beitragen, über das man in der Clinton-Regierung nur ungern redet: Von 1982 bis 1986 war ein gewisser Ron Brown in Washington als Lobbyist für den haitianischen Diktator Jean-Claude Duvalier tätig. Das brachte dem Juristen und aufstrebendem Talent der Demokratischen Partei 150.000 Dollar jährlich und dem Duvalier-Regime einen stetigen Fluß US-amerikanischer „Entwicklungshilfe“ ein. Ron Brown ist heute US-Handelminister.

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