Zieht die Kinderschuhe aus

■ MigrantInnen in die Redaktionen / Rundfunkrätin Arzu Toker im Gespräch

Arzu Toker, Rundfunkrätin und stellvertretende Vorsitzende des Programmausschusses des WDR lebt seit 1974 in Deutschland. Sie wird in der 100. Sendung von „Daheim in der Fremde“ (RB II, 12 Uhr) teilnehmen, die den Titel „Ausländer in den Medien“ trägt.

„Daheim in der Fremde“ feiert seinen 100sten Sendetermin. Lokalfunk für MigrantInnen, eine Stunde pro Woche, kann das ernsthaft ein Grund zum Feiern sein?

Arzu Toker: Selbstverständlich. Solche Sendungen waren eine einmalige Sache, als sie zusätzlich zu den muttersprachlichen Sendungen der ARD aufkamen. Heute ist ja das Berliner „Multi-Kulti“-Radio im SFB ein Schritt in die richtige Richtung. Ich wollte schon 1989, als der WDR eine neue Frequenz beantragte, so eine Sendung: Wo die Zuhörer Informationen, Musik und Unterhaltung aus irgendeinem Teil Europas hören würden. Das wurde abgelehnt.

Das besondere in Berlin ist ja die Mischung aus muttersprachlicher und deutscher Information. Was bedeutet das eigentlich?

Die meisten Leute empfangen ihre Heimatsender hier sowieso, über Satellit. Damit sind sie nicht mehr auf die deutschen Sender angewiesen. Das heißt, daß rund 6 Millionen Hörer Gebühren zahlen und nichts dafür bekommen. Aber wir müssen auch die politische Ebene sehen: daß die Ausländer immer mehr rausdrängt werden. Man hat ihnen gezeigt: wir wollen euch nicht. Ihr könnt soviel verbrennen, wie ihr wollt, wir werden euch keine Doppelstaatsangehörigkeit geben. Das kommt auch an. Viele flüchten sich in Fundamentalismus oder orientieren sich wieder in die Heimatländer. Da kommt wieder die Sprache ins Spiel. Sie ist die wichtigste Verbindung ins Heimatland. Und die Musik. Die emotionalen Farben.

Muß man deutschen RadiomacherInnen eigentlich Dummheit unterstellen?

Nein. Ich würde nicht Dummheit sagen. Ein Teil ist sicherlich versteckter Rassismus. Ein anderer ist, böse gesagt, das bewußte Herrenmensch-Sein. Das ist schwer zu durchschauen, aber in den Entscheidungen wird es offensichtlich. Der Deutsche hat immer Angst um sich selbst. Er macht keine Politik aus sich selbst heraus, die deutschen Hierarchen spiegeln vor allem die politische Landschaft wider. Zu Beginn der 70er Jahre beispielsweise waren die Sendungen für Ausländer heimatorientiert – man dachte an einen vorübergehenden Aufenthalt. Zwanzig Jahre lang lief es auf der Schiene. Dann beschloß die SPD in Nordrhein-Westfalen, daß eine Ausländerin in den Rundfunkrat kommt – gleichberechtigt.

Da drängt sich die Frage auf, ob AusländerInnen nicht eine Chance verpaßt haben, sich früher einzumischen?

Wir haben uns mit diesen Rundfunksachen nie wirklich beschäftigt. Je nachdem, woher wir kamen, wollten wir in den Heimatländern die Revolution machen und zurückgehen. In den 80ern kam dann ein Stillstand. Jeder versuchte, für sich hier eine Stelle zu ergattern.

Apropos „Stelle ergattern“: Die Bremer Sendung wird mit „freien“ AutorInnen gemacht. Muß man deshalb auf ein halbherziges Engagement schließen?

Durchaus. Meine Forderung ist übrigens, daß Ausländer nicht nur in den Sendungen für Ausländer eingestellt werden sollten, sondern auch in den deutschen Redaktionen. In eine ganz normale Kulturredaktion beispielsweise. Kultur ist nicht national. Und Sie können doch nicht italienisch denken oder im Auftrag eine andere Perspektive einnehmen.

Es wird behauptet, daß die Existenz einer Sendung wie „Daheim in Bremen“ auch auf andere Programme abfärbt...

Es heißt ja gar nicht „Daheim in Bremen“...

...ein Versprecher...

...auch wenn Sie das vielleicht so sehen wollen. Ich habe darüber schon für meine Rede nachgedacht: Man kann in der Fremde nicht daheim sein. Das ist nicht möglich. In diesem Titel spiegelt sich die Situation, daß man diesen Menschen hier einerseits keine Heimat sein will, sie andererseits aber nicht übersehen kann.

Zeit zum Umbenennen?

Unbedingt. Man muß die Augen dafür öffnen, daß Identität dynamisch ist. Bremen muß aus den Kinderschuhen heraustreten. Das heißt volle Integrierung von Ausländern in das gesamte Programm. Wenn Sie das Morgenmagazin anmachen, hören Sie dann eine Kurdin oder einen Italiener mit einem Akzent daherträllern. Das wäre es. Oder im Mittagsmagazin läuft mal türkische Musik. Nicht diese Jodelmusik, die wir ja auch haben, aber internationale Titel werden ja auch ins Türkische übersetzt.

Und in den Gremien?

Da müssen wir unsere Forderungen nach Entscheidungsbefugnissen für Rundfunkräte auf die Deutschen erweitern. Ansonsten können die Direktoren ja machen, was sie wollen.

Fragen: Eva Rhode