Bonjour, tristesse!

■ Vom malerischen Elend der Artisten, Huren und anderer Nacht-schattengewächse: Bilder aus Paris und Bremen in der Kunsthalle

„Wenn der Typ heute noch leben würde, der Toulouse-Lautrec – wo würde der wohl hingehen?“ Fragt Matthias Höllings listig. Die Antwort hängt ja schon an der Wand: Bilder von der „Welle“, aus dem Innenleben des untergegangenen Varietés, schäbig und so wunderbar.

Auf dem Bremer Vergnügungsdampfer haben Texter Höllings und Fotograf Jürgen Sieker die Reste von Nachtleben festgehalten, die es in Bremen eben gibt. So, wie Henri Toulouse-Lautrec, der Chronist des Pariser Nachtlebens, vor 90 Jahren die schrillen Schattenseiten rings um den Montmartre skizzierte. Als „Hommage a Toulouse-Lautrec“ sind die Bremer Bilder nun in der Kunsthalle zu besichtigen: Siekers Fotos begleiten die gewichtige Grafikschau „Pariser Nächte“ des französischen Meisters.

Kurz bevor die „Welle“ in der Weser verschwand, haben Sieker und Höllings die Artisten besucht. Nicht bei der abendlichen Show, sondern: „Backstage, genau wie Toulouse-Lautrec“. Morgens, beim Katerfrühstück; vormittags, wenn die Schlangenfrau ihre Verbiegungen übt; nachts, wenn Clown und Clownin eng umschlungen in die Koje sacken. Der Glamour des Showbetriebs inmitten der schimmeligen „Welle“: Der widersprüchliche Charme der schäbig-schönen Halbweltatmosphäre ist hier einfühlsam eingefangen.

Und zwar mit Mitteln, die denen des französischen Kunstahnen gar nicht unähnlich sind. Sieker hat die persönliche Nähe zu den Artisten gesucht. Die Intimität ihrer Nahaufnahmen wirkt daher nie entblößend oder verletztend. Der ganze Stolz der Körperkünstler spricht aus diesen Bildern: Selbst in der schlimmsten Enge, eingezwängt im Bauch des alten Varietékahns, leben sie Lust und Frust ihres Künstlerdaseins aus.

Mit dem luftigen Flair der Skizzen Toulouse-Lautrecs hat das dennoch nicht viel zu tun. Aber den Meister nachzuäffen, war auch nicht die Absicht des Projekts: Sieker und Höllings haben sich von den „Pariser Nächten“ inspirieren lassen, ohne sie zu kopieren. Trotzdem ist es ein schönes Spielchen, „La Toilette“ von 1896 und „Die Morgentoilette“ von 1994 zu vergleichen. Schade nur, daß es den Fotos in der Kunsthalle ergeht wie den Artisten auf der „Welle“: Während droben, auf der großen Bühne des Hauses, das große Toulouse-Theater tobt, führen Siekers Artistenfotos im Kellergeschoß des Hauses ihr Schattendasein, schimmelig und wunderschön.

Wenn der Typ, der Toulouse-Lautrec, heute noch leben würde: Er fände das klasse.

Thomas Wolff

„Pariser Nächte“ und „Hommage a Toulouse-Lautrec“ ab 3.10. in der Bremer Kunsthalle