: Peinlichkeit mit Ball
Champions League: FC Bayern München – Dinamo Kiew 1:0 / Bayern erstolperte knappen Sieg gegen zehnmännige Ukrainer ■ Aus München Werner Steigemann
Dummheit, heißt es, ist die mangelnde Fähigkeit, aus Wahrnehmungen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dieser Mangel wurzelt teils in Unkenntnis von Tatsachen, die zur Bildung eines Urteils erforderlich sind, teils auf ungenügender Schulung des Geistes oder auch auf einer gewissen Trägheit und Schwerfälligkeit des Auffassungsvermögens.
Ein Beispiel hierfür erbrachten die Spieler des FC Bayern München in ihrem 188. Europacupspiel mit ihrem erbärmlichen Sieg über die gnadenlos schlechte Mannschaft aus Kiew. Unfähig, die durch einen Platzverweis dezimierten Ukrainer auszuspielen, erstolperten sich die Münchner einen knappen Erfolg, der 1,1 Millionen Mark und zwei Punkte erbrachte. Außerdem läßt dieser Sieg die bayerischen Verantwortlichen hoffen, daß sie das Viertelfinale erreichen, um dort noch einmal groß abzukassieren. Allein die Münchner Zuschauer ahnten wohl die bevorstehenden Unzulänglichkeiten: Sie blieben mehrheitlich zu Hause und betrachteten das trostlose Gekicke vor ihrem Fernsehgerät. Den Beweis, eine Mannschaft zu besitzen, die auch internationalen Maßstäben genügt, blieben die Münchner schuldig.
Nach der ansprechenden Anfangsphase schliefen die Bayern auf dem grünen Rasen ein, um gegen Ende erschreckt und konfus aufzuwachen. Fast hätten die harmlos-sympathischen Spieler aus Kiew noch den Ausgleich erzielt. Die Bayern schienen wild entschlossen, ihre bisherigen bescheidenen Auftritte in der Liga vergessen zu machen. Weil zu Beginn die Raumaufteilung funktionierte, konnten die Spieler aus Kiew kein sinnvolles Spiel aufbauen. So auch in der neunten Minute, als sie den Ball im Mittelkreis verloren. Ein schön anzusehender Steilpaß des Schweizers Alain Sutter per Außenrist zu Spaßmacher Mehmet Scholl, der mit einem Heber den zu früh herauseilenden Dinamo-Torhüter Schowkowski ins Leere laufen ließ, ermöglichte die Führung der Bayern. Danach erfolgten noch einige halbwegs ansprechende Spielzüge und Chancen, bis der unbeholfene Dinamospieler Misin nach wiederholtem Foulspiel gegen Sutter die gelb- rote Karte sah.
Wer dachte, gegen zehn Spieler könnten die Bayern ihre vermeintliche technische Überlegenheit ausspielen, täuschte sich jedoch gewaltig. Die Münchner präsentierten sich von diesem Zeitpunkt an phantasie- und konzeptlos. Keiner der Mittelfeldspieler, auch nicht der offensive Lothar Matthäus, konnte Struktur, Ideen oder überraschende Aktionen einleiten. Alle hofften, nach der Pause würde sich die spielerische Trostlosigkeit durch die Hereinnahme des Stürmerstars Jean-Pierre Papin ändern. Aber mehr als zwei gute Chancen, wobei er bei der ersten den besser stehenden Sutter übersah und bei der zweiten amateurhaft freistehend aus fünf Metern scheiterte, vollbrachte der Franzose im Bayerntrikot nicht. Fast peinlich wirkte sein Umgang mit dem Ball. Es sei entschuldigend erwähnt, daß er über zwei Monate verletzt war.
Kurzfristig stockte den Bayern der Atem, als Leonenko in der 69. Minute allein auf Torhüter Oliver Kahn zusteuert. Doch der verhinderte den zwar nicht gerechten, aber doch möglichen Ausgleich und brachte die Punkteprämie von 550.000 Mark auf das Konto der Bayern. Endlich erbarmte sich der hervorragende Schiedsrichter Craciunescu aus Rumänien und beendete mit einem erlösenden Pfiff die Partie.
Fachgerecht erkannte Vizepräsident Rummenigge, daß seine Untergebenen kein großes Spiel abgeliefert hatten. Sein Kollege Beckenbauer lobte Torhüter Kahn und die Ballhaltetechnik, auch Geduld genannt, der Bayernspieler, wiewohl er zugab, daß das Ganze nicht unbedingt attraktiv war. Genauer hingesehen hatte da wohl Trainer Giovanni Trapattoni, der zwar die gezeigten Leistungen seiner Spieler in der ersten Hälfte als ansprechend empfand, aber auch erkannte, daß das Spiel mit einem Unentschieden hätte enden können. Die Erbärmlichkeit der Darbietungen entschuldigte er mit der Unerfahrenheit seiner Spieler, die wohl Angst hätten zu gewinnen.
Höflich, bescheiden und nett verabschiedete sich der Trainer von Dinamo Kiew, Josef Szabo. Die Bayern hätten verdient gewonnen und seien eine große Mannschaft. Seinen Spielern fehle ebenfalls die Erfahrung in internationalen Auseinandersetzungen, und somit sei er mit dem Ergebnis zufrieden. Die eigentlich Dummen sind letztlich die Zuschauer, die ihr sauer verdientes Geld für solch jämmerliche Darbietungen ausgeben. Und um sich den Frust auf der Wies'n zu ersaufen, dazu war es auch schon zu spät.
Dinamo Kiew: Schowskowski - Waschtschuk- Lujni, Lejenzew - Schmatowalenko, Kowalez, Misin, Michailenko, Kossowski - Leonenko, Prisetko (66. Rebrow)
Zuschauer: 26.000; Tor: 1:0 Scholl (9.)
gelb-rote Karte: Misin (33.) wegen wiederholten Foulspiels
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