Liebesleben zwischen rosa und dunkelgrau

■ Die einen predigen Moral, die anderen Sex ohne Grenzen. Die frei flottierende Lesbe wundert sich über die Grabenkämpfe und kauft vorsichtshalber zwei Dildos

Daß die political correctness das öffentliche Leben in den USA gelähmt hat, verseucht, vergiftet, unterjocht, das wissen wir schon; es gehört zur täglichen Medien-Soap- Opera. Lesbische Frauen, auch das gehört dazu, sind außerdem schöner geworden, erotischer und nicht mehr so vernagelt. Nur einige Vernagelte gibt es noch. Überreste. Alice Schwarzer-Klone. Diese Überreste an lesbischer Borniertheit sind wie ehedem lustfeindlich, langweilig und häßlich. Sie könnten, das ist das Gefährliche, im Zuge der Herrschaft des PC Rückenwind bekommen.

Seltsam, seltsam, wenn Lesben anfangen, ihre Sexualitätsdiskussionen an diesen Linien entlang zu organisieren. Wenn sie anfangen zu glauben, daß der Unterscheidung zwischen der asexuellen (PC- )Heiligen und der verruchten Wilden tatsächlich ein Realitätsgehalt zuzugestehen ist. Wenn sie mit Bildern aus dem 19. Jahrhundert aufeinander losgehen. Sicher gibt es fürchterliche PC-Heilige. Und es gibt schöne wilde Sex-Maniacs. Aber vor allem gibt es Frauen, die gerne Wortführerin in einem Lager spielen, wie fiktiv es auch immer sein mag. Und zwischen den erdachten Lagern, unbeachtet sowohl von den Exponentinnen des Primitiv-PorNo- und PCtums (die sich weigern, einem Frauenpublikum einen Bondage-Film zuzumuten, oder die vor lauter biologistischem Blick unfähig sind, eine Transsexuelle mit Restschwanz als Frau zu akzeptieren), als auch der Spaßfraktion (locker, lustbetont und immer auf der Suche nach dem Tabu, das noch zu brechen wäre), gibt es die frei flottierende, reale Lesbe. Die hat ihrem Körper eigentlich schon länger spannende, schöne, lust- und schmerzvolle Seiten abgewinnen können. Die bringt es fertig, dem Faustfick ein flammendes politisches Plädoyer folgen zu lassen. Die besitzt vielleicht zwei Dildos, einen rosa Gummischwanz für die Freiheit der unfreien Phantasien und einen dunkelgrauen Delphin. Die findet, daß es, Rigiditätsnerv hin oder her, zumindest diskutierbar sein müßte, ob ein Newton ähnlich viel Unterstützung wider PC-inspirierte Zensurrufe bekäme, wenn er als Sujet für seine Fotografien die Erniedrigung von anderen Menschengruppen als von Frauen wählen würde.

Sie, die frei flottierende Lesbe, kann sich oft des Eindrucks nicht erwehren, daß die platte Dummheit keine Frage der politischen Inhalte ist, die man sich auf die Fahnen schreibt. Was ist vernagelter als die Kreuzzugsphantasien von Anti-PC-AktivistInnen? Was ist umgekehrt reizender und blümchenhafter als der kleine Zettel in der Nullnummer der Lesben-Tabubrech-Sex-Zeitschrift, sorgsam von der Redaktion hineingelegt, der die Leserinnen um Verständnis für die schlechte Druckqualität bittet?

Die frei flottierende Lesbe ist sich nicht sicher, ob sie weiß, was im Bett der anderen Frau so vor sich geht. Die Golden Girls saßen in einer Folge beim Kuchenessen, und die hochmoralische und wahrlich nicht sehr sexbombige Rose erwähnte beiläufig, wie oft und wie lang sie es mit ihrem Ehemann, Gott habe ihn selig, immer so getrieben hatte. Blanche, Nymphomanin von eigenen Gnaden, klappte der Unterkiefer in Richtung Tortenteller, denn ihr wurde schlagartig klar: Auch hinter den Schlagzimmertüren der scheinbaren Blümchen kann sich einiges tun. Es gibt Leute, die haben ihren Sex öffentlich, und es gibt Leute, die haben ihren Sex auch so. Susanne Billig