Mit Großen von Hop-Singh

Bonanza, Valente, Froboess: „Bear Family Records“ recycelt verschiedentlich Verschollenes. Mit liebhaberischem Interesse. Ist überhaupt mehr und mehr im Kommen: Die Schallplatte zum Streicheln und ins Bücherregal stellen  ■ Von Jan Feddersen

Überall, auf Sofas, auf Schreibtischen, an den Wänden oder an den Regalen, hocken, kleben, sitzen oder lächeln Bären, schwarze, weiße, braune, solche mit abgeschrubbtem Fell, andere mit neuem Flor, manche bekleidet, andere nackt, wie es Stofftierfreunde am liebsten haben. Wer davon überzeugt ist, daß auch Knuddeltiere eine Seele haben, wird in dem umgebauten Bauernhof am Rande des Teufelsmoores ein ganzes Seelennest von Teddybären entdecken.

Richard Weize heißt der Leiter des Stofftierreservats. Er ist der Spiritus rector des Unternehmens, das in dem auf Country-Chic umgestylten Haus untergebracht ist und, kein Wunder, „Bear Family Records“ heißt: Die Firma genießt unter Platten- und Musiksammlern – vor allem in Deutschland und in den USA – Kultstatus.

Was sich Anfang 1994 als kleine, finanziell solide, mittelständische Firma ausnimmt, begann vor zwei Jahrzehnten, irgendwann Anfang der siebziger Jahre, so im Gefolge der langhaarigen Endsechziger als Geschichte zweier Leute, die in einer Bremer Garage damit anfingen, aus dem Ankauf von Musikarchivalien und Tonträgerlizenzen neue Schallplatten zu pressen.

Das erste Produkt: „The unissue Johnny Cash“, eine Schallplatte mit deutschen Aufnahmen des amerikanischen Countrysängers, die irgendwo in den Kellern des amerikanischen Musikkonzerns CBS mehr oder weniger vor sich hingammelte.

Zwei kleine Italiener

Richard Weize und sein Kompagnon Hermann Knülle mochten nicht glauben, daß eine solche Rarität den Konsumenten vorenthalten werden sollte – nur weil sich, so Knülle, einige Marketingdirektoren des Konzerns nicht dazu entschließen mochten, eine Investition für die Veröffentlichung zu tätigen: „Wir waren Pioniere, ohne daß wir es wußten.“

Country, deutsche Schlager, deutsche Unterhaltungsmusik und andere Schätze aus der Alltagskultur vor allem der fünfziger und sechziger Jahren finden sich inzwichen im Sortiment, Mainstream- Pop à la Rolling Stones wird nicht ediert. Was zählt, ist einzig ein Gemisch aus Trash und versenkter Alltagskultur, die mit dem jeweiligen Zeitgeist vordergründig wenig gemein hatte. Ohne Übertreibung: Weize und Knülle haben die Oldiewelle nicht erfunden, aber auf wissenschaftliches Niveau gehoben. Anders formuliert: Im Gegensatz zu Musikfirmen wie der Polygram kümmern sie sich wie akkurat arbeitende Buchverlage um die Edition jeder einzelnen ihrer Veröffentlichungen.

Es reicht ihnen nicht, beispielsweise aus Archiven irgendwelche (meist bekannten) Titel der Catarina Valente hervorzuklauben. Weize puhlt aus den Beständen von Musikverlagen oft unbekannte Aufnahmen hervor. Eine CD mit dem Frühwerk der Cornelia Froboess wartet zum Beispiel mit einer englischen Version ihres Hits „Zwei kleine Italiener“ auf.

So akribisch die Editionspraxis, die sich auch in den meist über 30seitigen Begleitheften wiederspiegelt, so wenig verspannt betreiben die Bärenrekorder ihr Geschäft. In New York sind schon Leute gesehen worden, die sich gierig auf eine 4-CD-Cassette stürzten mit den Liedern, die die „Bonanza“-Helden einst sangen. Als Beigabe findet sich in der aufwendig gestalteten Box eine kleine Tüte „mit Großen von Hop- Singh“, dem Koch der vier Männer aus dem Wilden TV-Westen. Darin enthalten: drei Reiskörner – was nicht zuletzt einen feinen Sinn für Humor durchblicken läßt.

In den USA sicherten sich Weize & Co. einen festen Platz in den Herzen von Sammlern mit auf insgesamt zehn CDs konzipierten Produktionen des Werks von Doris Day. Kundenbeschiß wie hastig veröffentlichte CDs mit „Greatest Hits“ von Sängern oder Gruppen wie zum Beispiel Paul Anka oder den Righteous Brothers, deren Tonqualität auf öffentlichen Hauptverkehrsstraßen gewonnen zu sein scheint – so rauschig klingen meist die Fabrikate –, wird von Weize ausgeschlossen: „Wir liefern korrekte Ware. Und hoffen, daß der Kunde merkt, welche Mühe wir uns gegeben haben.“

Marion denkbar?

Was bislang nur im Buchgeschäft funktionierte und nicht im flüchtigen Business der Popkultur, scheint durch die „Bärenliebhaber“ außer Kraft gesetzt worden zu sein. Anders wären Neueditionen mit Liedern der in den fünfziger Jahren populären Jazzerin Inge Brandenburg nie möglich gewesen. – Eine eigene Marktforschungsabteilung ist in dem Haus in Vollerode nicht angesiedelt; man entscheidet über neue Projekte nach Gefühl. Letztlich helfen auch die KäuferInnen, die mit zustimmenden Zuschriften nicht geizen: „Recht herzlicher Dank“ kommt so postalisch täglich ins Haus – und damit einher ein nie enden wollender Strom von Vorschlägen: „Ist eine Veröffentlichung der gesamten Aufnahmen von Marion (Marion Litterscheid, Marion Maerz) denkbar?“, fragt einer. Und ein anderer hält die Lieder der Sängerin Petra Pascal einer Wiederveröffentlichung für würdig.

Indes: Das Geschäft mit den Lizenzen wird immer schwieriger, die Plattenfirmen haben selbst entdeckt, daß mit ihren lieblos in die Archivregale verbannten Stoffen Geld zu machen ist. Die jüngst in einem US-Archiv gemachte Entdeckung bislang nicht veröffentlichter Lieder von Janis Joplin wird von „Bear Family Records“ nicht zu materialisieren sein – selbst wenn der betreffende Musikverlag sie nicht herausbringen möchte.

Kataloge und Informationsmaterial: Bear Family Records, Achtern Dahl 4, 27 729 Vollerode, Tel: 04794/1399, Fax: 04794/1574