Kurzschlüsse in der Schöpfung

Küsse Tür! Mißbrauche Prinzessin! Rette Welt vor wuchernden Tentakeln! – aber bitte nicht am Monitor herumfummeln! Computerspiele bestehen mehr und mehr aus Meta-Gags und Unsinnstexten, die sich gegenseitig zuwinken  ■ Von Uli Hölzer

Der Programmierer/Autor – wie soll man sagen? – Game-Designer Bob Bates beschrieb seine Arbeit einmal so: „Ab und zu fragen mich Leute, was ich tue, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich sage ihnen dann, daß ich meistens nur so herumsitze und mir die Dinge ausmale, die Spieler in einem Spiel probieren könnten.“

Hochangereichert mit Seitenhieben

Was ist das Faszinierende an einem Computer-Adventure, jenen oft auch als interactive novels bezeichneten Spielen, in denen man einen Helden durch eine digitale Realität voller bizarrer Situationen und schrulliger Typen steuert und dauernd mit irgendwelchen verzwickten Rätselaufgaben konfrontiert wird, deren Bewältigung zugleich einen Handlungsschub auslöst. Das Versprechen einer nichtlinearen, sich immer weiter verzweigenden Geschichte kann es kaum sein, denn das ist praktisch nicht umsetzbar; erlaubt sind allenfalls periphere Schleifenverläufe oder Sackgassen.

Zumeist ist der Plot dieser elektronischen Romane eher zweitrangig. Bob Bates' offensichtlich von Monty Python's „Ritter der Kokosnuß“ inspiriertes Ritterabenteuer „Eric The Unready“ (bei Legend erschienen) reiht beispielsweise Klamaukepisoden und Genresatiren ohne Rücksicht auf Verluste aneinander. Der Titelheld, ein schusseliger Möchtegern-Ivanhoe, muß nicht nur ein verzaubertes Schwein aus einem Plumpsklo retten und die obligatorischen gemeingefährlichen Angriffsschildkröten besiegen, sondern hat sich sogar in einer mittelalterlichen Gameshow zu behaupten; außerdem gerät er bei der Durchquerung der „Sümpfe der Verderbnis“ in eine abgefahrene „Raumschiff- Enterprise“-Parodie: Spock, Kirk & Co. erwarten ihn an Bord eines die unendlichen Weiten des Niedermoors erkundenden ... Floßes: Swamp, the final frontier!

Insofern die Adventures mit Anspielungen und Seitenhieben dieses Kalibers hochangereichert sind, erübrigt sich fast zwangsläufig die Idee eines geschlossenen, abgerundeten Werkes. Im Vordergrund steht vielmehr die Lust an der puren Kombinatorik der Einzelteile, gemäß der ironischen, oben zitierten Selbstanzeige Bob Bates' (konsequenterweise im Spielkontext als Kommentar einer verqueren Interaktion abrufbar).

Tatsächlich ergibt sich die Anziehungskraft von Adventures aus eben der Möglichkeit, in der vom Autor/Programmierer vorgegebenen Schöpfung dauernd Kurzschlüsse anrichten zu können; die versteckten Pointen und Gags winken quasi als Belohnung für unorthodoxe Handhabung! Es existiert eine Art unsichtbarer Anmerkungsapparat, ein in bester Manier intertextuelles Netzwerk der Insiderscherze, Running Gags, ironischen Genrezitate, von dem die vordergründige Handlung unterfüttert wird.

Schließe, öffne, nimm, gib, rede mit ...

Die ersten Adventures waren reine Textwüsten. Ihre Steuerung erfolgte durch das Eintippen relativ komplexer Imperativsätze, wobei die Parser genannten Übersetzungsroutinen durchaus in der Lage waren, einen Wortschatz von mehreren hundert Vokabeln zu verarbeiten. Als Ende der Achtziger die Vollgraphik-Adventures sich durchsetzten, erfolgte parallel dazu eine Bedienungsrevolution, weg von der Tastatureingabe hin zur Maussteuerung: „Point 'n' click“. Um ein Kommando aufzubauen (zum Beispiel „Öffne Tür“), klickte der Spieler zuerst auf ein Verben-Button der Menüleiste („Öffne“) und anschließend auf ein Objekt im Graphikfenster („Tür“), was zwar der Bequemlichkeit beim Abenteuern zugute kam, aber die Möglichkeit zur „falschen“, das heißt originellen Eingabe („Küsse Tür“!) stark reduzierte – denn natürlich enthielt die Menüleiste nur noch eine Handvoll zweckmäßiger Verben: „Schließe“, „Öffne“, „Nimm“, „Gib“, „Rede mit ...“

Einem einzigen Medium – Text – verpflichtet, entwickelten frühe buchstäbliche Adventures wie „Zork“, „Hitchhiker's Guide to Galaxy“ oder „Bureaucracy“ aus dem Ehrgeiz, jeden beziehungsweise nahezu jeden (Text-)Input zu bedienen, einen überdrehten, anarchischen Witz. Dieser „vererbte“ sich gewissermaßen auf die neue Generation von Adventures, die sich kongruent zur Computerentwicklung etablierte, die ihrerseits immer rasanter in Richtung Multimediamaschine ging. Will heißen: Die bei der sukzessiven Ausgrenzung von Text verlorene Ebene wurde, wenigstens bei den Highlights des Genres, durch graphische Gags, ausufernde Multiple-choice-Dialoge, auf Wortspielen beruhende Puzzles und so weiter ansatzweise ersetzt. Allerdings trösten beeindruckende Animationssequenzen, Sprachausgabe oder filmartiger Soundtrack keineswegs über den fundamentalen Verlust – aberwitziges Feedback – hinweg.

Indiana Jones, Teil IV: in Altlantis

Zwar träumen inzwischen immer mehr Spieleentwickler vom interaktiven, volldigitalisierten Spielfilm, wofür der neue Massendatenträger CD-ROM das ideale Medium wäre; die unlängst veröffentlichten High-Tech-Games überzeugten bislang aber leider nur durch optische und akustische Effekte, durch schillernde Oberfläche und eben nicht durch Spielwitz, Wortwitz, pfiffiges Puzzledesign (Paradebeispiel: Virgins „The 7th Guest“).

Da sind die dito graphisch ambitionierten Leckerbissen von Lucas Arts, der hausinternen Computerspielesektion des postmodernen Unterhaltungsimperiums von George „Star Wars“ Lucas, von ganz anderem Kaliber (gelegentlicher „Beta-Tester“ der Firma ist übrigens Steven Spielberg): Die Anfang der Neunziger entstandene zweiteilige Miniserie „The Secret of Monkey Island“, ein satirisches Piratenabenteuer, sowie „Indiana Jones and the Fate of Atlantis“, quasi der vierte, aber unverfilmte und nur als Game erhältliche Teil des Spielberg-Zyklus um den peitschenschwingenden Artefaktenjäger, gelten bereits als Genreklassiker.

Diese wie animierte Comics wirkenden Games wurden von den im letzten Jahr unter gleichem Label erschienenen „Day of the Tentacle“ (drei Jugendliche müssen die Welt vor der Herrschaft mutierter Tentakeln bewahren) und „Sam & Max Hit the Road“ (ein „Freelance Police“-Gespann aus Knitteranzug-Hund und rabiatem weißen Hasen auf der Jagd nach einem entlaufenen Yeti) noch überboten: innovativ-schräger Zeichenstil und rabenschwarz-zynischer Humor machen diese Games voller ausgefeilter B-Film-Zitate – sie wirken, als hätte sie Aki Kaurismäki durch die Untiefen der Augsburger Puppenkiste gezoppt – zum Besten, was zur Zeit erhältlich ist. (Ach ja: Den tiefgefrorenen Hamster muß man natürlich in der Mikrowelle auftauen!)

Krieg der handelsüblichen Topoi

Trotz kontinuierlichen Adventure-Outputs sind aber echte Perlen nach wie vor selten. Da ist man schon froh, wenn ein Spiel wie „Simon the Sorcerer“ (Adventure Soft), das das Erfolgsrezept des Klassikers „Monkey Island“ gnadenlos abkupfert, sich wenigstens auch vom Witz des Originals inspirieren läßt. Andererseits besteht der Witz gerade darin, daß zwischen hemmungslosem Plagiat oder liebevoller Hommage eh nicht mehr zu unterscheiden ist. Schon aus Prinzip nicht, denn schließlich setzte sich bereits das Affeninsel-„Original“ aus lauter ironischen Genrezitaten zusammen, gespeist aus einer „intertextuellen Enzyklopädie“, die nach Umberto Eco Grundlage für sich wechselseitig zuwinkende Texte beziehungsweise sich gegenseitig befeuernde Unterhaltungsmedien ist. Die Ausgangskonstellation beider Games ist jedenfalls nahezu identisch: Der halbwüchsige Titelheld gerät in eine sagenhafte Traumwelt, in der sich sein Lebenswunsch, hier ein richtiger Zauberer, dort ein mächtiger Pirat zu werden, prompt – sprich: nach absolvierter Aufnahmeprüfung – erfüllt, woraufhin sich ein Duell gegen den abgefeimten Obermotz kaum mehr vermeiden läßt.

Handelsübliche Genre-Topoi kriegen natürlich reichlich Fett weg: Kindermärchen und beliebte Fantasy-Figuren werden in „Simon“ durch den Kakao gezogen, während die Welt von Guybrush Treepwood, dem „Monkey Island“-Helden, mit dem Inventar einer Nonsense-Piraten-Karibik ausstaffiert ist. Konkret heißt das, daß sich Simon mit einem streikenden Brückenwächter-Troll, einem melancholischen Sumpfling, verschnupften Drachen, antirassistischen Holzwürmern, dem Jahrestreffen der Amateurhobbits und gelangweilten Dämonen-Halbstarken auseinanderzusetzen hat, während Guybrush sich mit einem geschwätzigen Gebrauchtschiffhändler, einem Zen-festen Robinson-Crusoe-Verschnitt, einer feministisch angehauchten Gouverneurin sowie streng vegetarisch lebenden Kannibalen herumschlagen und auch einen Piraten-Weitspuckwettbewerb gewinnen muß.

Die Puzzles werden von einer verdrehten, Lewis-Carroll-artigen Unsinnslogik regiert, weshalb es kaum verwundert, daß Guybrush einen hüftsteifen Affen als Schraubschlüsselersatz verwendet, während Simon eine durch Erlösungskuß wieder zum Schwein gewordene Prinzessin (sic!) zum Aufschmatzen einer Schokoladentrüffeltür mißbraucht.

Trifft Simon auf die örtliche, sich gerade bei einem Fantasy- Rollenspiel vergnügende Magiergilde, hält der Multiple-choice- Auswahlkasten auf die Frage, warum er sie trotz „genialer“ Verkleidung als Landwirte auf Anhieb als Zauberer erkannt habe, unter anderem folgende Antwort parat: „Mein Mauscursor sagt mir das, wenn ich auf Euch klicke.“ Guybrush am Anfang einer surrealen Traumsequenz, derweil sich das Bild unheimlich rötlich einfärbt: „Augenblick mal. Irgendwas Seltsames geht hier vor. Fummeln Sie nicht an Ihrem Monitor rum.“

Solche, der gesetzten Fiktion den Boden unter den Füßen wegziehenden Meta-Gags sind sozusagen das Salz in der Adventure-Suppe: So fühlt sich beispielsweise eine Nebenfigur in „Sam & Max“, die gerade in eine für Non-Player- Characters typische Sisyphos-Tätigkeit verstrickt ist, „wie in einer Novelle von Norman Mailer feststeckend“, während ein hartnäckig den Durchgang verweigernder Türhüter in „Day of the Tentacle“ seine Daseinsberechtigung so umschreibt: „Guarding it is more or less the same no matter what's inside.“ Eine Pointe, die nicht nur eine der genretypischsten Puzzle- Situationen ad absurdum führt, sondern darüber hinaus auch noch eine ironische Fußnote bezüglich der „Unausdeutbarkeit“ gewisser Kafka-Parabeln abliefert (und Armeen von dessen Exegeten wie müde Krieger aussehen läßt).

Spiel ohne Grenzen

Wirken die Adventures auf den ersten Blick wie die Apotheose traditioneller Erzählung, indem sie ihre Geschichte hübsch von Anfang bis Ende inklusive Spannungsbögen und Aus-A-folgt-B-Logik inszenieren, arbeiten sie insgeheim an der totalen Blamage der narrativen Diktatur, insofern sie eben diese Inszenierung durch Unterstützung jeder subversiven Abschweifung lustvoll unterminieren, das heißt als austauschbar, als sinnloses <CONTINUE>um kenntlich machen. Der Plot ist – das zuzugeben fällt postmodernen Unterhaltungs-Ingenieuren schon lange leicht – eh immer derselbe: „Boy Meets Creature. Boy Loses Creature. Creature Saves Boy. Boy Saves Creature.“

Für die Filme von Spielberg, der so den „E.T.“-Stoff auf den Maschinenbefehl bringt, gilt von „Jaws“ bis „Jurassic Park“: Sie sind „Effektfilme. In ihnen vermählt sich Phantastik mit Computertechnik. Der Drehort ist ein grenzenloser Spielplatz“ (Antje Goldau/ Hans Helmut Prinzler).

Spiel ohne Grenzen – bis der Tod uns abholt: Die Werke, um die es hier geht, finden schon deshalb kein Ende mehr, weil der Autor immer „noch einen“ in petto hat, einen weiteren special effect, vortrefflich plazierbar zwischen zwei traditionellerweise durch dichterische Inspiration zu füllende Leerstellen. Keiner Eingebung/keinem Input ist mehr zu vertrauen; der folgerichtige Schluß ist wie der Anfang: „Every once in a while, people ask me what I do for a living. I tell them that mostly I sit around anticipating the things that players will try to do in a game.“

Die taz wird künftig auf den Kulturseiten unter dem Kolumnentitel „Point 'n' click“ in lockerer Folge Computerspiele besprechen.