Sozialdumping bei VW

■ Autokonzern droht Belegschaft in belgischem Zweigwerk mit Teilabzug

Brüssel (taz) – Seit drei Wochen wird im VW-Werk Forest im Süden Brüssels gestreikt. Die Fließbandarbeiter fordern bessere Arbeitsbedingungen und die Wiedereinstellung gekündigter Kollegen. Die Geschäftsleitung lehnt alles ab, „was die Produktionskosten erhöhen würde“. Doch die Belegschaft ist gespalten. Viele der 6.000 Arbeiter fürchten um ihren Job. Denn der Konzern in Wolfsburg droht damit, die Produktion teilweise nach Deutschland und in die Slowakei zu verlagern, sollte weiter gestreikt werden.

Die Drohung wird schon deshalb ernst genommen, weil die Firmenleitung die im Laufe der letzten Wochen ausgefallene Produktion von mehreren tausend Golf und Passat bereits in Deutschland nacharbeiten läßt. Die Fabrik in Forest ist eines von rund 20 großen VW-Werken in Europa, von denen die meisten nur ungenügend ausgelastet sind. Viele dieser Werke stehen untereinander in Konkurrenz. Wer zu teuer produziert, wird langsam aus dem Geschäft gedrängt.

Seit Jose López bei VW als Produktionschef die Fäden in der Hand hält, ist die Konkurrenz innerhalb des Konzerns schärfer geworden. Auch im belgischen Werk wurde das Arbeitstempo erhöht und die Belegschaft reduziert. Vor drei Wochen rebellierten die Fließbandarbeiter gegen die ihrer Ansicht nach unerträglich gewordenen Arbeitsbedingungen und gegen die angekündigte Entlassung von 850 Beschäftigten. Sie traten in unbefristeten Streik.

Vor einer Woche einigten sich Gewerkschafter und Betriebsleitung auf einen Kompromiß, der den Arbeitern mehr Freizeit, aber weniger Geld einbringt. In den Verhandlungen wurde der diesjährige Lohnzuschlag kurzerhand in zusätzliche Urlaubstage umgerechnet. Dadurch ist das Arbeitstempo verringert, ohne daß VW Mehrkosten hat. Außerdem wurden auf diese Weise knapp die Hälfte der gekündigten Arbeitsplätze gerettet.

Bei der Urabstimmung votierten dann rund 55 Prozent für eine Fortsetzung des Streikes, weniger als die zwei Drittel, die nach dem Gesetz nötig sind. Trotzdem blieb ein Teil der Arbeiter hart, und wie das am Fließband so ist, reichen ein paar Duzend Streikende, um die Anlage stillzulegen. Seitdem steigt die Anspannung. Mit jedem Tag wird es für die Streikenden schwieriger, den Ausstand ohne Gesichtsverlust abzubrechen, wenn die Geschäftsleitung keine Zugeständisse macht. Alois Berger