Ohne Privilegien

■ Projekt UNESCO-Schule in Altona: „Botschafter“ aus 36 Ländern / Ideale und Alltag Von Philipp Müller

Jeden Morgen machen sich 36 Botschafter aus ebensovielen Nationen auf ihren Weg. Sie steigen auf ihr Fahrrad und radeln in die Altonaer Straße, wo sie von Lehrerinnen und Lehrern schon erwartet werden - weil sie (vielleicht?) wieder einmal zu spät gekommen sind. Die symbolisch bestimmten VertreterInnen ihres Landes haben keine Privilegien wie ihre großen Kollegen, nicht einmal reservierte Plätze für die Räder. Seit einem Jahr nehmen sie an der „UNESCO-Schule“ teil, einem Projekt an der Haupt- und Realschule Altonaer Straße.

Klassen aus unterschiedlichen Stufen arbeiten zusammen, alle SchülerInnen steuern etwas zum Jahresthema „Wege zu Schrift und Kultur“ bei. Und gruppenweise wird an Einzelprojekten gearbeitet. Eine Lehrerin freut sich: „Eine innere Schulreform hat das ausgelöst.“

Die folgenreiche Frage, ob man nicht „UNESCO-Schule“ werden wolle, wurde dem Direktor vor fast zwei Jahren gestellt. Große Ziele: Sich verpflichten, den Schutz von Umwelt, die Wahrung der Menschenrechte, den Kampf gegen Armut und Elend und die Achtung des anderen intensiv im Unterricht zu vermitteln.

Die großen Ziele schreckten das Kollegium erst ab. Katharina Wolgart, die das Projekt heute leitet: „Wir dachten, wir könnten nichts geben, wir wünschten uns lieber selber Hilfe.“ Viele ihrer SchülerInnen leben an der Armutsgrenze, fühlen sich mißachtet und ausgestoßen.

Dabei waren die groß formulierten Ideale im Grunde genommen die Probleme ihrer Alltagswelt. Fremdsein, Anderssein – das ist Alltag bei 570 Jungen und Mädchen aus 36 Nationen in einem Gebäude. Die einzugehende Verpflichtung war weniger selbstausbeutende Hilfe für ärmere Schulen des UN-Programms, sondern schlicht Selbsthilfe und somit zum beidseitigen Vorteil. „Mit dem Kontakt zu ärmeren und fremden Kindern finden unsere Schüler wieder Zugang zu ihrer Identität“, faßt Katharina Wolgart ihre Erfahrungen zusammen.

Einige SchülerInnen haben sich an andere der 3000 UNESCO-Schulen auf allen Erdteilen gewandt und sie gebeten, Alltagsgegenstände zu schicken: Fahrkarten, Packungen, Briefe; die Welt auf ihrem Tisch. Über alle Altersstufen verteilt schreiben Kinder auf, was ihnen zu einem Bild von Macke oder Monet einfällt, selbst die Herren und Damen Botschafter. Mittlerweile ist die Altonaer Straße sogar soweit, daß sie Hilfe schicken kann. Die Einnahmen eines Schulfestes gingen als Spende nach Bosnien.

Das Projekt UNESCO-Schule hat die Altonaer Straße durchdrungen und ist ganz auf dem Boden der Hamburger Realität geblieben. Ihre Arbeit wird in einem Jahr bewertet werden und entschieden, ob sich die Altonaer als vollwertige UNESCO-Schule bezeichnen dürfen. Selbst dann müssen sich alle weiter anstrengen: Die Auszeichnung kann vom Bundeskoordinator auch wieder aberkannt werden.