Sanssouci
: Vorschlag

■ Rollentausch im Theater

Stell dir vor, du wachst auf und bist Türke. Thomas Balkenhol schreibt als Autor und Regisseur der Groteske „Einwohnermüdürlügü“ seinem einzigen Darsteller diese schicksalsschwere Identität ins Rollenbuch. Es ist ein Computer, der dem ahnungslosen Alois Demmel nach durchzechter Nacht via Kontrollmonitor des Einwohnermeldeamtes mitteilt, es gebe Probleme mit seiner Aufenthaltserlaubnis. Ehe Alois Demmel so recht begreifen kann, ist aus ihm der Ausländer Ali Demirel geworden. Dieser Wandel hatte sich bei Alois bereits früher angedeutet. In der „falschen Fankurve bei der Eintracht“ holte er sich, obwohl „friedlich wie die Reichskriegsflagge“, nach einem Schlag mit eben dieser einige Kopfverletzungen.

Alois Demmel ist der Rechtsradikale von nebenan, der sich selbst lediglich als typisch deutsch ansieht. Beruf nicht Neonazi – sondern bloß arbeitslos. Trotz massiver „political correctness“, die ein Stück mit dieser Thematik wohl braucht, gelingt die Befreiung aus dem Nationalgetrommel: Streß mit dem Einwohnermeldeamt, Bad in der Kultursuhle aus Götterdämmern und Auschwitzlügen. Ali alias Alois ist der Muselgermane, der einsieht, daß man mit Behauptungen wie „du Türke – ich Goethe“ nichts erklären kann. Schließlich wird sein Asylantrag in der Türkei mit Argumenten abgelehnt, die wir doch eigentlich in ihrer umgekehrten Form und mit entsprechenden Folgen kennen.

„Einwohnermüdürlügü“ lebt von der darstellerischen Leistung Klaus Brückners, dessen Spiellust keinerlei fade Routine anhaftet, und seiner überzeugenden türkischen Aussprache, während auf der Bühne mit Dia-Überblendungen geschickt Frankfurt in Minaretten als Istanbul illuminiert wird. Ohne aufdringlichen interaktiven High-Tech-Firlefanz findet die Inszenierung, auch stimmig in Details wie Kostüm und Requisite, ihren Höhepunkt in der Vertonung und Choreographie des Langenscheidt-Lehrbuchs „Hallo Kollege“ aus der Reihe „Deutsch am Arbeitsplatz“. Plötzlich wachst du auf und bist möglicherweise Türke. Das passiert Türken jeden Tag. Deniz Göktürk

„Einwohnermüdürlügü“, bis 16. Oktober, Mi-So um 20 Uhr, im Ratibor Theater, Cuvrystraße 20.