Wand und Boden
: Rasantes Doppel

■ Kunst in Berlin jetzt: US-Maler, Balkenhol/Nicolai, Makarov

Wie es scheint, sind die Probleme der Malerei nicht von dieser Welt. Denise Green hat darüber mit Ross Bleckner, Alex Katz, Barry Le Va und Dorothea Rockburne gesprochen, deren Bilder die Galerie Raab bis zum 27. 10. zeigt. Ihre eigene Arbeit beschreibt Green als Bruch: Plötzlich hatte sie sich im Juli 91 von aller Farbe entfernt, nur Schwarz und Weiß blieben übrig. Die Reduktion brachte kaum Klarheit in die Bilder, auf „White Knight“ fliehen die Striche eher nervös aus der Fläche. Statt mit zeichnerischen Elementen abstrakte Beziehungen zu entwickeln und neue Räume aufzumachen, wurde ihr Stil so expressiv, als hätte sie die gesamte Palette ausgeschöpft. Den emotionalen Schub erklärt Green mit verdrängten Erinnerungen an den lange verstorbenen Vater: „Mir wurde klar, daß die neuen Tropfen und Farbverläufe in meinen Bildern Tränen glichen.“ Bei Ross Bleckner war der Wechsel von abstrakter Landschaft zu gegenstandslosen „optical paintings“ einer veränderten Wahrnehmung gefolgt. Die Dinge schienen ihm nurmehr im Wechselspiel von Licht und Bewegung zu existieren, daß er seitdem durch gleichmäßig ausgestanzt leuchtende Punkte auf dunklen Flächen erzeugt. Sein „Clinical Trial“ erinnert an Zellgewebe, das sich aus dem anthrazitgrauen Grund herausschält. Andere Erklärungen sind allgemeinerer Natur: Die Kehrtwende von Alex Katz zur figurativen Malerei war 1960 eine Absage an den gestischen Mainstream, die wirren Collagen-Labyrinthe Barry Le Vas beruhen auf simplen Raumordnungen, die Architektur und Medizin vermischen. Trotzdem sieht es nach kryptischen Bauplänen für Maya-Tempel aus. Nur die grell kontrastierenden, aber in jeder Schicht transparenten Acryl-Skizzen, die Dorothea Rockburne als Grundlage für Wandgemälde nutzt, sind ein wenig per Zufall entstanden. Als eine Druckvorlage versehentlich in Falten durch die Presse lief, entdeckte sie, wie Strukturen zusammenhängen – gegenstrebig.

Painterly Thought, Mo-Fr 10 - 18.30, Sa 10 - 14 Uhr, Potsdamer Straße 58, Tiergarten.

Das Zusammentreffen von Stephan Balkenhol und Carsten Nicolai in der Neuen Nationalgalerie ist weniger Experiment als Politik. Nachdem DDR- Staatsmaler Willi Sitte auf Generallinie mit dem deutschen Realismus gebracht worden ist, verbeugt man sich vor der auch irgendwie ehrbaren Dissidenz und stellt dem Leipziger Nicolai einen Raum zur Verfügung. Und der konservative westdeutsche Holzschnitzer Balkenhol ist zur Zeit sowieso auf großer Retrospektiven-Tour. Next Stop: Hirshhorn Museum Washington. Die mißmutig dreinschauenden Selbstporträts als Teufel oder blitzeschleudernder junger Mann wurden offensichtlich entsprechend der günstigen Marktlage produziert: Innerhalb eines Jahres hat er über ein Dutzend Plastiken und 16 Zeichnungen auf Tischlerplatten fertiggestellt. Diese Art von Massenausstoß zeigt allerdings Mängel, manche Holzbemalung wirkt halbherzig, mehr nach buntem Anstrich als durchdacht. Auch die Tiefe der Reliefs hätte Balkenhol sorgsamer bearbeiten können. Dagegen sind die romantischen Kreidezeichnungen quer durch alle Kontinente nett verspielt: Mal sitzt der Künstler auf Esel oder Nashorn, dann wieder reitet er einen Delphin und streichelt einem Eber die Lendenstücke.

Auch Nicolai hatte im vergangen Jahr den Aufschwung Ost miterlebt und ebenso rasant gearbeitet. Bei ihm dreht sich alles ums Doppel: Große Bildtafeln wurden mit Zwillingsmotiven bemalt, deren Negativ- und Positiv-Entwurf sich von lyrisch-abstrakten Kreisen bis zu beuysschen Menschenschemen ergänzen. Ölspuren, pastose Farbe, Bleistiftkritzeleien und Archaik: Das ganze hat dann wortgewaltige Titel wie „Ich freß die Welt an einem Tag“ und geht auf sehr unmittelbare Formenspielereien zurück, wie sie sich aus Mustern beim Rorschach-Test ergeben. Ob Nicolai sich ums Sein sorgt, wenn er „Twin Twin Pferde“ in Mahagoniholz oder Bronze formt und sie auf Eichensockel stellt, ist eine andere Frage.

Bis 30.10., Di-Fr 9 - 17, Sa/So 10 - 17 Uhr, Potsdamer Straße 50, Tiergarten.

Im Stillen Museum in der Linienstraße 154a ist es nicht nur sehr still, sondern auch sehr dunkel. Die Fenster zugemauert, die Wände nicht weiß, sondern venezianisch rot wie zuletzt in den Pariser Salons des Fin de siècle, die Deckenstrahler spärlich über drei Räume verteilt und nur schwach auf die zwölf „Lichtbilder“ von Nikolai Makarov gerichtet, die wiederum in moorig braunen und mattgrauen Tönen gehalten sind – die Galerie als Bastion eines verschlungenen Katholizismus. Als ein solcher Ort der Auslöschung aller Zeit- und Lebensgeister ist der „Erlebnisraum“, für den Makarov neben privaten Sponsoren auch Fürsprecher im Senat und bei anderen Museen gefunden hat, wohl auch gemeint. Ganz neu ist die Künstler-Theologie für Moderne nicht: Bereits Ad Reinhardt war mit seinen schwarzen Bildern den Weg des Kreuzes gegangen, und Mark Rothko ließ sich in Houston eine Kathedrale fürs Abstrakte errichten. Auch im Stillen Museum wiegt die Inszenierung so schwer wie alle Artefakte. Von schwachem Licht erleuchtet, bildet sich ein Vorhof um jene helleren Spuren, Inseln und verwischten Horizonte, die Makarov in feinen Lasuren Schicht für Schicht eingearbeitet hat. Fast wähnt man darin den späten Schimmer einer Aura, bevor das Licht zum Gleichmaß von Tag und Nacht wurde. Makarov wehrt sich gegen diese Art technischer Aufklärung: in den schwarzen Flächen tauchen dunkle Gänge hinter noch dunkleren Haustoren ab. Die Welt ist düster, aber nicht hoffnungslos. Rembrandt hätte sie gemocht, Kittler eher weniger.

Täglich 15-21 Uhr, Mitte.

Harald Fricke