Pilze in Platte Nr. 142

Das Familienprojekt in Bautzen – oder: Warum Frau Lorenz nicht im Stausee badet und der Erholungspark Arbeit bis zur Rente schafft  ■ Von Tomas Niederberghaus

Wer auf der Klobrille sitzt, kann sich gleichzeitig am Waschbecken die Zähne putzen und die Füße in den Vorgarten stellen. Die Nässe kriecht wie Ungeziefer an den kitschigen Tapeten hoch. Schimmelpilze sprießen aus dem Boden. Muff und Moder rauben den Atem. Platte an Platte reihen sich die schäbigen Ferienhäuser an der Talsperre in Bautzen. Zu DDR- Zeiten waren sie als „Karnickelställe“ verschrieen. Firmenmitarbeiter wurden hier mit ihren Familien zur Erholung einquartiert; gelegentlich kamen auch Tschechen. „Das war Intensivhaltung“, mosert der dicke Bauarbeiter und hebt die Haustür der Nr. 142 aus den Angeln. „Für Ehebetten gab's keinen Platz. Nicht einmal in Ruhe bumsen konnte man. Die Kinder schliefen doch im gleichen Zimmer.“ Der noch dickere Kollege zuppelt an seinem cremefarbenen Cordhut, kratzt sich den Hinterkopf und grinst. „1974 haben wir wie die Ochsen geschuftet und den Erholungspark aufgebaut“, meint er, „nun reißen wir alles wieder ab.“ Die beiden Herren im Blaumann machen insgesamt 600 Ferienwohnungen dem Erdboden gleich. Und dann, ja dann soll es auch hier am Wasser piekfein zugehen.

„Ferienpark Oberlausitz“ heißt das Projekt in Sachsen unweit der Grenzen zu Polen und der Tschechischen Republik. Die Planer der eigens gegründeten „Erholungs- und Touristik-GmbH“ wollen dafür etwa 100 Millionen Mark anschaffen. Zu den Gesellschaftern gehört ein Vertreter der Hamburger SarCon Touristik GmbH, an der wiederum die Kopenhagener Ferienparkkette Danland beteiligt ist. Auf dem 56 Hektar großen Areal warten künftig 500 Wohnungen, etwa 400 Caravanstellplätze, ein Spaßbad und Sportanlagen auf möglichst viele Freizeitmenschen. Eine Million Gäste werden jährlich erwartet. Die SarCon GmbH hat den Park bereits in ihren Katalog aufgenommen. „Bestehende Wohnungen sind nur zum Teil renoviert“, heißt es, „und entsprechen nicht dem normalen SC-Standard.“ Noch in diesem Sommer bekamen Erholungssuchende zum Wochenpreis von 1.050 Mark (Reihenhaus Typ K, für 6 Personen) DDR-Nostalgie und Abbruchästhetik im Plattenparadies geboten.

„Die Leute“, sagt Gottfried Auras von der Bautzener Touristik- GmbH, „kommen aus den Beneluxländern, Schweden, Dänemark und Deutschland.“ Doch die Neugier ebbt ab. Im Vergleich zu den ersten Monaten nach der „Wende“ wird das Domizil deutlich weniger besucht. Und wenn der neue Ferienpark die Tore öffnet, wird er sich im wesentlichen nicht von denen im Harz, im Sauerland oder in anderen Mittelgebirgen unterscheiden. Warum also in die Oberlausitz reisen? Gottfried Auras sitzt in seinem Containerbüro und zuckt die Schultern. Kurz kreist sein Blick durch das braune Ambiente seines Arbeitszimmers. Dann schaut er raus auf den See. „Wir bieten Ruhe und Erholung“, sächselt er, „bei uns kann man alles machen.“ Wie hier und da und dort: Fitness, Reiten, Wandern, Tennis. Keine Spur von Spezialangeboten. Die Bautzener Touristiker trotzen dem modernen Marketing und versuchen sich als Allroundanbieter. Im SarCon- Prospekt wird zwar eine Tagestour nach Prag empfohlen, bis in die Moldaumetropole sind es jedoch etwa 200 Kilometer. „Wir liegen ja auch direkt am See“, wirbt Auras, „sämtliche Wassersportmöglichkeiten sind denkbar.“ Aber nur denkbar. Elke Lorenz, Pressesprecherin der Stadt Bautzen, würde nicht einmal ihren großen Zehen ins Wasser halten. Denn der See ist eine Kloake. „Das angestaute Spreewasser hat eine schlechte Qualität“, sagt Lorenz, „im Sommer haben wir sogar empfohlen, dort nicht zu baden.“ Ein Algenteppich habe das kühle Naß grün schimmern lassen.

Selbstverständlich hat die Landschaft ein eigenes Profil. Zahlreiche Barockschlösser und Herrenhäuser thronen an den Wasserläufen. Der Ferienpark grenzt unmittelbar an das von der Unesco geschützte Biosphärenreservat Oberlausitz: eine Heide- und Teichlandschaft, Lebensraum für seltene Flora und Fauna. Störche, Seeadler und Kraniche beispielsweise sowie verschiedene Orchideenarten. „Es gibt nichts Erholsameres, als an einem Teich zu sitzen und zu angeln“, verspricht der Werbeprospekt.

Gottfried Auras versichert, daß die Teichlehrpfade im Sumpfgebiet nicht von Touristen platt getrampelt werden. „Es gibt keine negativen Einflüsse. Die Umweltschützer“, sagt er, „haben unserem Vorhaben ihr Einverständnis erteilt.“ Allerdings beziehen sich deren Stellungnahmen auf die Renovierung der alten Bausubstanz. „Von Abriß“, sagt Petra Günther vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), „war zu der Zeit noch gar nicht die Rede“. Als die Stadt Bautzen von den neuen Absichten erfuhr, hat sie prompt ein Raumordnungsverfahren eingeleitet. Um darüber hinaus möglichen Immobilienspekulationen und dubiosen Baugeschäften weitgehend vorzubeugen, hat sie das riesige Areal nicht verkauft. Statt dessen erhebt sie einen Erbbauzins. „Der Vertrag ist auch an bestimmte Bauantrags- und abschlußfristen geknüpft“, sagt Elke Lorenz, „werden diese nicht eingehalten, fällt das Erbbaurecht an die Stadt zurück“. Gottfried Auras paßt das nun gar nicht so gut in den Kram. Unter den Umständen werde sich die Firma schwertun, Investoren zu finden. Große Banken und Versicherungen hatten ihr Interesse bekundet. Bereits jetzt hinke man den Plänen neun Monate hinterher.

Die Stadt möchte dem Ferienpark andererseits keine Stolpersteine in den Weg legen. Man hat sich von der „großen Bedeutung dieses Vorhabens für die gesamte Region“ leiten lassen, sagt Lorenz. Wie viele Gemeinden in den neuen Bundesländern errechnen sich auch die Bautzener einen Segen durch den Tourismus. Arbeitsplätze soll er schaffen und die Übernachtungskapazitäten aufstocken. Außerdem soll in dem Komplex ein Schwimmbad entstehen. „Das wird unseren Bewohnern zugute kommen“, sagt Lorenz, „der Eintritt wird nicht an das geplante Erlebnisbad gekoppelt.“ Die beiden Bauarbeiter freuen sich auf den Badespaß schon jetzt wie die Schloßkönige. Nur eine Befürchtung haben sie. In der Honecker-Ära hat man ihnen prophezeit, daß der Erholungspark bis zu ihrer Rente Arbeit schafft. „Das läuft darauf hinaus“, feixt der Dickere, „bloß kommen wir dann nie zum Schwimmen.“