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„Der Typ muß einfach weg“

■ „Satanskult“ als Jugendobsession – Milieustudie eines überflüssigen Mordes

„Satansmord in Thüringen“; „Satanskinder schickten 15jährige als Todesbotin“; „Chronik eines angekündigten Mordes“ – im April vergangenen Jahres erlangte das thüringische Städtchen Sondershausen traurige Berühmtheit: Drei Anhänger einer Satanssekte, zum Zeitpunkt der Tat gerade einmal 17 Jahre alt, hatten ihren 15jährigen Mitschüler ermordet. Fast ein Jahr später wurde das Urteil gesprochen: acht beziehungsweise sechs Jahre Knast. Was war wirklich geschehen?

Liane von Billerbeck und Frank Nordhausen, zwei Journalisten aus Berlin, haben anderthalb Jahre nach dem Mord an Sandro Beyer ein Buch vorgelegt, in dem sie sich nicht mit vorschnellen Antworten und Erklärungen abfinden. Keine Abhandlung über die Krise der Pädagogik und der „zivilen Gesellschaft“, kein Jammergesang über die Verlierer der Einheit, sondern eine unprätentiöse Beobachtung, mit der ein Konflikt rekonstruiert wird, dessen tragisches Ende wohl eher eine Verkettung unglücklicher Zufälle denn die „Chronik eines angekündigten Mordes“ war.

Das Teuflische, Böse zieht hinan

Sandro Beyer war 15 Jahre alt, als er am 27. April 1993 in der Datsche des CDU-Landtagsabgeordneten Walter M. erdrosselt wurde. Sandro ging aufs Gymnasium. Doch die Mehrzahl seiner Mitschüler interessierte ihn nicht. „Was denkst du denn, worüber die sich unterhalten“, klagt er einem Brieffreund, „Genau wie bei dir: Fußball, Bier und Kümmerling und über Weiber.“ Er selbst will anders sein, begreift sich als links, hatte auch schon mal Probleme mit Faschos. Doch das ist es nicht, was ihn mit Sebastian S., Hendryk M. und Andreas K. verbindet. Es ist die Entdeckung des Okkulten, Geheimnisvollen, die Vorliebe für „Gothic Music“, „Black Metal“, für das Böse, den Teufel.

Auch Sebastian S. ging aufs Gymnasium. Er galt als hochintelligenter Schüler, der sich gegen Tierversuche einsetzte, Unterschriften sammelte und Leserbriefe an die örtliche Tageszeitung verfaßte. Doch weder die Schule, sein politisches Engagement, noch der Umstand, daß er und seine Freunde wegen ihres autonomen Outfits des öfteren von Rechtsradikalen angepöbelt und verprügelt werden, nahm seine Phantasie so sehr in Anspruch wie die Suche nach dem Nichts, dem Bösen. Sebastian, Hendryk und Andreas bekämpften nicht den Staat, sondern das Christentum. Bereits 1992 hatten sie eine Black-Metal-Band gegründet, trugen umgedrehte Kreuze und Pentagrammtücher, Symbole des Satanismus. Doch im Mittelpunkt ihres Treibens steht nicht der Satanskult selbst, sondern dessen Inszenierung, ein überaus erfolgreiches Mittel, die Aufmerksamkeit der Kleinstadt auf sich zu ziehen.

Keiner in Sondershausen, weder Eltern, Lehrer, Mitschüler, selbst nicht der Bürgermeister, haben später behauptet, sie hätten von der Gruppe und ihrem Tun nichts gewußt. Schon vor dem Mord an Sandro kam es immer wieder zu Konflikten.

Eine ganz normale Stadt?

Zum Beispiel im „Haus der Jugend“. Wie der Zufall es wollte, probte dort nicht nur die Black- Metal-Band „Absurd“, sondern trafen sich auch die jungen Christen des Sondershäuser CVJM. Man ließ die Band weiter im Jugendhaus proben, denn nur dann, so meinte der Bürgermeister, habe man überhaupt noch eine Gesprächsmöglichkeit. Doch welche Möglichkeiten hätte es gegeben? Liane von Billerbeck und Frank Nordhausen suchen nicht nach Antworten, sondern stellen vor allem Fragen, lassen die Betroffenen zu Wort kommen und genau darin liegt die eigentlich „pädagogische“ Stärke dieses Buches: Im Eingeständnis, daß „Erziehung“, die Wertewelt der Erwachsenen, mit der ihrer heranwachsenden Töchter und Söhne kaum mehr eine Schnittmenge hat – unabhängig davon, nach welcher „Erziehungsmethode“ verfahren wird. Das Ergebnis, so scheint es, kann nur noch ex post einer Bewertung unterzogen werden. Man kann alles richtig machen und auch alles falsch und keiner weiß, warum.

Eine Hilfosigkeit der Erwachsenenwelt, die Bände spricht: Es sei unmöglich, die Schüler rund um die Uhr zu behüten, meinte Sebastians Schulleiterin nach dem Mord: „Wenn wir das machen, sagt ein Teil der Eltern: Ihr wollt die Kinder reglementieren wie in der DDR. Jetzt sagen uns die anderen: Ihr tut zu wenig.“ Wesentlich erfolgreicher in ihrem Einfluß waren da die Mitschüler der „Satanskinder“. Nach zwei mehr komisch als okkult anmutenden Taufversuchen neuer Satansjüngerinnen ist die Gruppe um Sebastian S. entzaubert. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt beginnt sich Sandro Beyer für die Gruppe zu interessieren – und wird zurückgewiesen. Sandro, enttäuscht und gekränkt, beginnt Erpressungsmaterial zu sammeln, verbreitet Gerüchte über das Liebesleben Sebastians, der sich ganz und gar nicht teuflisch verliebt hatte: in die Katechetin einer Sondershäuser Kirchengemeinde.

Anders als in den Schlagzeilen der Boulevardpresse fügt sich aus den Schilderungen der Mitschüler, aus Briefen und Tagebucheintragungen Sandros sowie den Wahrnehmungen der Eltern und Lehrer ein Mosaik zusammen, das vor allem eines verdeutlicht: In Sondershausen herrschte ein Alltag wie in jeder anderen Kleinstadt auch. Gerade deswegen ist auch nach Lektüre dieser Reportage nur schwer verständlich, wie die Geschichte ein solches Ende nehmen konnte. Doch das wissen offenbar nicht einmal die Täter: „Die ganze Tat war einfach relativ spontan überlegt“, so Sebastian S. „Wir haben irgendwann überlegt, der Typ muß einfach weg.“ Uwe Rada

Liane von Billerbeck, Frank Nordhausen: „Satanskinder. Der Mordfall Sandro B.“. Links Verlag, Berlin 1994, 336 S., 29,80 DM

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