Das Rezept bleibt immer gleich

IWF-Direktor Camdessus sieht weltweit den Aufschwung / Kritik zur Feier des 50jährigen Jubiläums auch von Wissenschaftlern  ■ Aus Madrid Nicola Liebert

Gefragt nach der Bedeutung der Jahresversammlung in Madrid, reagiert IWF-Chef Michel Camdessus sibyllinisch: „Es wird ein Vorher und ein Nachher geben.“ Gemeint hat er damit, daß 50 Jahre nach seiner Gründung „in einer sich ändernden Welt“ neue Aufgaben auf den Internationalen Währungsfonds zukämen. Die unmittelbar bevorstehende Aufgabe sei, so Camdessus, den beginnenden Aufschwung als Chance zu nutzen und die Fehler der Vergangenheit, als wirtschaftliches Wachstum oft genug mit Inflation einherging, zu vermeiden.

Nach sieben mageren Jahren sei nun erstmals wieder Wachstum zu erwarten, 3,1 Prozent im globalen Durchschnitt in diesem Jahr, 3,6 Prozent im nächsten. Richtig fröhlich gab sich der IWF-Forschungsdirektor Michael Mussa bei der Vorstellung des neuesten internationalen Konjunkturberichts, des „World Economic Outlook“. Die Wirtschaft der Industrieländer wird demnach um 2,7 Prozent zulegen, in den Entwicklungsländern gar um 5,6 Prozent. Vom Aufschwung profitieren allerdings zwei Ländergruppen nicht: Afrika und die GUS-Staaten.

Ein ebenfalls sichtlich gutgelaunter Michel Camdessus gab der Presse danach erst einmal die Ausschüttung des ersten großen Kredits an die Ukraine (360 Millionen Dollar in diesem Jahr) bekannt. Dann aber wurde er ernster. „Unsere Aufgabe ist es, jetzt dafür zu sorgen, daß den sieben mageren sieben fette Jahre folgen, doch die werden nicht vom Himmel fallen.“ Schließlich sei die Arbeitslosigkeit in den meisten Ländern der Welt nicht zurückgegangen, wovon gerade Gastgeber Spanien mit fast 25 Prozent Arbeitslosen ein Lied singen kann.

Der IWF beurteilt nicht nur die wirtschaftliche Lage, er erteilt auch Ratschläge. In Krisenzeiten sehen diese in etwa so aus: Zinsen hochsetzen zur Inflationsbekämpfung, öffentliche Ausgaben senken zwecks Defizitbekämpfung, außerdem Deregulierung der Wirtschaft und Öffnung der Grenzen für Importe. In Zeiten des Aufschwungs sind die Rezepte haargenau dieselben.

Was Camdessus keinesfalls will, ist, mit den Goldreserven des IWF (geschätzte 40 Milliarden Dollar) die Schuldenlast der Entwicklungsländer zu erleichtern. Nicht nur NGOs, sogar der britische Finanzminister Kenneth Clarke forderte vor wenigen Tagen, den Goldschatz, der nicht mal Zinsen abwirft, zugunsten der verschuldeten Länder zu verkaufen. Camdessus will hingegen die Währungsreserven der Mitgliedsländer aufstocken durch eine neue Ausgabe von Sonderziehungsrechten (SZR), dem Kunstgeld des IWF. Mit 36 Milliarden SZR (50 Mrd. US-Dollar) über die nächsten fünf Jahre sollen auch die neuen IWF- Mitglieder, die noch nicht in den Genuß einer Ausschüttung dieses IWF-Kunstgeldes kamen, an zusätzliche Devisenreserven kommen. Das wiederum wollen die Industrieländer nicht, weil zusätzliches Geld im weltweiten Wirtschaftskreislauf die Inflation anheize. Goldverkauf und SZR-Ausschüttung werden auch noch die Komitees und den Gouverneursrat beschäftigen.

Wie die längerfristigen Perspektiven für IWF und Weltbank nach den Erfahrungen der letzten 50 Jahre aussehen, damit beschäftigte sich eine zweitägige Konferenz anläßlich der 50-Jahr-Feier. Einige der Wirtschaftswissenschaftler und Vertreter internationaler Finanzinstitutionen gingen mit den Geburtstagskindern erstaunlich hart ins Gericht.

Fred Bergsten, Direktor des „Institute for International Economics“, wußte sich zum Beispiel mit Camdessus Vorgänger Jacques de Larossière, jetzt Präsident der Europäischen Entwicklungsbank, einig: Der IWF habe seine Aufgabe, die internationalen Finanzmärkte zu stabilisieren, nicht erfüllt. Selbst in den angeblich goldenen Zeiten des IWF, als es noch feste Wechselkurse gab und der US-Dollar als Leitwährung durch Gold gedeckt war, habe es dramatische Währungsprobleme gegeben, zum Beispiel in Großbritannien. Den Zusammenbruch des Systems Anfang der 70er Jahre habe der IWF nicht verhindern können. Danach sei es noch schlimmer gekommen. Daß der US-Dollar beispielsweise unter Ronald Reagan so massiv überbewertet war, habe zu einer Importschwemme in die USA und damit einer Zerstörung weiter Teile der US-Industrie geführt. Die protektionistischen Tendenzen der USA seien eine Folge davon, und so habe die Welt noch heute unter den damaligen währungspolitischen Fehlern zu leiden. Ähnlich sei der Fall des Yen, dessen Unterbewertung in den späten 80er Jahren zu den riesigen japanischen Exportüberschüssen geführt habe, die wiederum Handelskriege nach sich zogen. „Ein Weltwährungssystem, das so etwas zuläßt, ist ein Fehlschlag“, so Bergsten.

Dem kanadischen Ökonom und Berater der Entwicklungsländer im IWF, Gerald Halleiner, zufolge haben längst andere die eigentliche Weltwährungspolitik in die Hand genommen: Die G7 beziehungsweise im Grunde die „G3“, also die USA, Japan und die Bundesrepublik, die die Laisser-faire-Politik des IWF durch Währungsabsprachen und Interventionen ersetzt hätten.

Seine zweite Hauptaufgabe, nämlich den Transfer von Ressourcen in die ärmeren Länder zu organisieren, erfüllt der IWF laut Halleiner ebenfalls mehr schlecht als recht.

Die Wissenschaftler vermochten für den IWF überhaupt nur dann eine sinnvolle Zukunft zu sehen, wenn er es schaffe, endlich das Währungssystem zu stabilisieren. Bergsten und de Larossière schlagen vor, das derzeitige De-facto- System der Absprachen und Interventionen zu institutionalisieren. Anders als die G7, von denen niemand erwarte, daß sie im Interesse der internationalen Gemeinschaft agieren, habe der IWF dafür eine gewisse Legitimation und den notwendigen Apparat.