Wahlkampf gelbblau: Genscher-Fest in Prag

■ Feier mit Kinkel auf dem Balkon

Prag (taz) – Zumindest was die Reisefreudigkeit betrifft, hat Außenminister Klaus Kinkel inzwischen fast die Statur seines Vorgängers Hans-Dietrich Genscher erreicht. Gerade eine Stunde war der von Wahlniederlagen und schlechten Prognosen gebeutelte FDP-Chef am Freitagmorgen aus New York zurück, da stieg er in Bonn schon wieder ins Flugzeug.

Zwei Wochen vor der Bundestagswahl hätte der Anlaß von liberalen Werbestrategen nicht besser inszeniert sein können: Gemeinsam mit FDP-Pferd Genscher sowie 28 Journalisten und sieben Kamerateams flog Kinkel nach Prag, um am historischen Ort zum 5. Jahrestag der Ausreise der DDR-Botschaftsflüchtlinge eine Gedenkplakette zu enthüllen.

Am Abend des 30. September 1989 hatte Außenminister Genscher vom Balkon der Botschaft den rund 5.000 DDR-Bürgern die seit Tagen in den Sälen und im Garten des Palais Lobkowitz campierten, die erhoffte Nachricht überbracht. „Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um ihnen zu sagen, daß ...“ – der Rest des Satzes ging in Jubel unter. Die TV-Bilder von der Ausreise sorgten bei der DDR-Bevölkerung für einen „Knack“ im politischen Bewußtsein, so beschrieb damals Bärbel Bohley die Wirkung.

Von Bürgerrechtlern war vor tausend Gästen im Kuppelsaal der Botschaft gestern keine Rede. Dafür flimmerten die Fernsehbilder vom 30. September noch einmal über eine Videowand. Genscher saß äußerlich ungerührt daneben, als Kinkel sowie der damalige Botschafter und einer der damals wartenden Flüchtlinge ihn mit Lob überschütteten.

Bevor Kinkel sich dann aufmachte, um mit Ministerpräsident Václav Klaus und seinem tschechischen Kollegen Josef Zieleniec über die europäische Einigung zu sprechen, enthüllten die eingeflogenen Deutschen vor laufenden Kameras („Bildjournalisten begeben sich in den Garten“) schnell die Plakette auf dem Balkon. Ob die Beschwörung der Vergangenheit den Liberalen in zwei Wochen hilft? Hans Monath