Schulen und Kinos in Delhi geschlossen

■ Erste Pesttote auch in der indischen Hauptstadt / Indiens Öffentlichkeit beginnt politische Lektion der Seuche zu diskutieren: Gandhis Lehren wurden vergessen

Am Sonntag feiert Indien den 125. Geburtstag ihres Nationalheiligen Mahatma Gandhi. Gandhi soll, wenn Freunde bei einem seiner vielen Hungerstreiks besorgte Gesichter machten, öfter gescherzt haben: „Keine Angst, ich werde 125 Jahre alt.“ Wenn man dieser Tage in Delhi – wo die Schulen und Kinos wegen der Pestepidemie jetzt geschlossen wurden – Inder darauf anspricht, ist die Reaktion einmütig: „Ich gönne es ihm“, meint mein Gemüseverkäufer, „daß er diesen Geburtstag nicht mehr erleben muß.“

Daß ausgerechnet an diesem runden Geburtstag in Indien die Pest wütet, hat für viele eine traurige Symbolik. Gandhis Botschaft – daß jede Entwicklung mit der Stillung der Grundbedürfnisse Gesundheit, Bildung und Wohnen beginne – verhallte ungehört: Wie der Ausbruch der Pest in den Slums von Surat und die Ausweitung in andere Städte – in Delhi sind in dieser Woche zwei Menschen an der Infektion gestorben – zeigt, sind es gerade diese Bereiche, welche das Land zu seinem Schaden vernachlässigt hat.

Es bedurfte aber der massiven Reaktionen des Auslands, um vielen Indern nahezubringen, daß die Pest neben ihrer medizinischen auch eine politische Lektion enthält. Inzwischen beginnen die ausländischen Reaktionen jedoch weh zu tun – dem Nationalstolz wie der Geldtasche.

Auf ausländischen Flughäfen werden aus Indien kommende Flugzeuge abseits geparkt, und in einigen Ländern wie jetzt auch in Südkorea dürfen sie gar nicht mehr landen. Passagiere werden Gesundheitskontrollen unterworfen, selbst Mutter Teresa mußte sich in Rom einer Befragung unterziehen.

Auch wirtschaftlich beginnen die Folgen fühlbar zu werden. Japanische Firmen wie Mitsui und Marubeni planen, ihre Mitarbeiter abzuziehen. Besonders empfindlich dürfte ein Beschluß des „Gulf Cooperation Council“ schmerzen. Er verfügte die Einstellung aller Flüge von und nach Indien und das Einfrieren jeglichen Gütertransports. Allein die Nahrungsexporte, von denen die meisten in die Golfstaaten fließen, machen 18 Prozent der Exportstatistik aus – rund 3 Milliarden Dollar.

Der Gesundheitsökonom T.N. Krishnan meint, Indien habe während Jahrzehnten die vorbeugende Gesundheitsversorgung vernachlässigt. Neunzig Prozent der Todesfälle sind hier auf Infektkrankheiten zurückzuführen. Für präventive Maßnahmen wie zum Beispiel Hygiene, sauberes Wasser und Impfungen gibt es nur ein halbes Prozent seines Gesundheitsbudgets aus. Ein Viertel der Bevölkerung hat immer noch keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Bernard Imhasly