Keiner wird gewinnen...

■ Premiere: Jürgen Flimm inszeniert David Mamets „Oleanna“ im Thalia

Einen ausgewogenen Fight zwischen John, Professor, und Carol, Studentin, entwirft der Amerikaner David Mamet in seinem Drama Oleanna. Die erste Runde im wortgewaltigen Catch der Geschlechter, fürs Thalia inszeniert von Jürgen Flimm, beginnt mit Vorteilen für John: Seine Wichtigkeit genießend spreizt sich der aufstrebende Professor im noch provisorisch eingerichteten, großzügigen Büro und telefoniert. Die Hände zwischen die Knie vergraben sitzt Carol ihm gegenüber. Gesenkten Kopfes harrt sie seiner Aufmerksamkeit. Mit dem Zeigefinger bedeutet er ihr beiläufig, Platz zu behalten, fährt sich eitel durchs Haar, zackig bezeugt er seiner Gattin am Telefon: „Ich liebe dich auch.“

Zag greift Carol nach diesem Monolog zum Wort, darf um Hilfe bitten, um Belehrung, was John mit seinem Seminar und seinen Büchern über die Sprache wohl gemeint hat. Doch während sie über Schikane sprechen, schikaniert er sie. Während er über ihm widerfahrene Demütigung jammert, demütigt er sie und erklärt ihr geduldig Fremdwörter.

„Wir gestehen uns nicht einen kurzen Sprechakt lang zu, einem Mann gegenüber dominant zu sein“, zitiert das Programmheft die Sprachwissenschaftlerin Senta Trommel-Plötz, und leider nur so führt Dorothée Reinoss die farbige Studentin Carol vor. Als selbstverliebter Bilderbuch-Macho darf sich dagegen Sven-Eric Bechtolf zelebrieren, als einer, der seine Dominanz genießt und dabei vorgibt, Interessen seiner Studenten im Auge zu haben. So kennt frau die Kerle, die Vatis, Chefs, Profs, Therapeuten und schlimmstenfalls auch noch die Gatten, die von ihren Vorrechten nicht lassen unter dem Hinweis, daß sie doch nur das Beste für die Damen wollen. Ihr Verständnis für die an sich selbst zweifelnde Frau bläht sich dann nicht selten so auf, daß sie sie am liebsten gleich flachlegen würden. Nah rückt folglich auch John seiner Studentin auf den Pelz, streichelt ihr den Rücken, als sie in sich hineinwimmert, sie verstehe nichts. Doch gerne läßt er sich dabei vom Telefon stören, um die Nachricht von seiner Professur auf Lebenszeit entgegenzunehmen.

Das Blatt wendet sich im zweiten Akt. Carol hat sein Verhalten veröffentlicht, eine Kommission soll die sexuelle Belästigung untersuchen. Noch ist John sich seiner sicher, versucht Carol zu bewegen, ihre Vorwürfe zurückzuziehen. In diesem Machtspiel setzt ihm Reinoss unsouveräne Ausbrüche einer Verliererin entgegen, aber nicht die kalte, berechnende Wut eines Opfers, das seinen Peiniger bereits verbal in den Griff bekommt. Im Programmheft wird auch die von Feministinnen vielgescholtene Camille Paglia zitiert. Zu Anita Hill, die in den USA mit dem Vorwurf der sexuellen Belästigung den Richter Clarence Thomas vom Stuhl schubste und darob als feministische Heldin galt, bemerkte sie: „Zu Mama und Papa oder zum Beschwerdeausschuß der Universität zu laufen, ist einer starken Frau unwürdig“. Mamet ergreift in Oleanna weder Partei für John noch für Carol, eindimensional und ohnmächtig bleibt dagegen in Flimms Inszenierung die Darstellung des weiblichen Opfers.

Dritter Akt, letzte Runde im – nun wieder provisorischen – kühlen Schick des Prof-Büros (Bühne: Dieter Flimm). John greift erledigt zum Flachmann. Er muß sich von Carol belehren lassen: „Nennen Sie Ihre Frau nicht Baby.“ Empörtes Raunen ob solcher Anmaßung erhebt sich – erschreckenderweise – im Parkett. Aber so schwach hat Reinoss als Carol agiert, daß ihre Kraft, zurückschlagen zu können, niemand mehr glauben kann. Der von Carols Widerstand, aber auch von moralischer Selbstgerechtigkeit angeschlagene Gockel John schlägt schließlich nur noch zu. Beide verlieren. Mamet schreibt über Macht: „Der Mensch, (...) der sich nicht von dem Gedanken lösen kann, daß er ,aus den besten Motiven der Welt' handele und deshalb meint, er dürfe die ihm überlassenen Machtbefugnisse überschreiten, richtet großen Schaden an.“ Am Ende gibt's viel Applaus für ein geniales Stück, für das Jürgen Flimm sicher das Beste wollte, aber zu sehen ist letzthin nur, daß er's irgendwie gut gemeint hat.

Julia Kossmann