„Lobet den Herrn für alles“

■ Was Pfarrer Uhl gestern der Politikprominenz zu sagen hatte / Eine Predigtkritik

Normalerweise predigt ein Pfarrer vor weitgehend leeren Bänken. Ein Glück deshalb, wenn die Kirche voll besetzt ist. Eine selten wiederkehrende Gelegenheit, wenn dann auch noch die Medien berichten. Der theologische Repräsentant der Bremischen Evangelischen Kirchen hatte am 3. Oktober dieses Glück. Er bereitete sich gut vor, formulierte die Predigt schriftlich gar schriftlich – da wir keine Erlaubnis hatten, am Gottesdienst teilzunehmen, wissen wir nur deshalb, was er uns zu sagen hatte.

Welch ein Thema: protestantische Kirche und deutsche Einheit! Viel wäre zu sagen über die Rolle der protestantischen ChristInnen in der DDR, ihren Widerstand, ihre Kampagne gegen Kriegsspielzeug, auch über die manchmal zweifelhafte Verhandlungsnähe zum SED-Regime. Umgekehrt gab es massiven Druck des Staates auf die Kirche, auf PfarrerInnen, KonfirmandInnen, christliche Kriegsdienstverweigerer. Kann die West-Kirche etwas lernen von der (erzwungenen) Staatsferne der DDR-Kirchen? Soll es vom Verteidigungsministerium bezahlte Militärseelsorger auch im Osten geben? Welche Rolle spielten die Kirchen in den fünf Jahren der deutschen Vereinigung? Was wurde aus der Rolle der DDR-Kirche, die den Rebellischen und Ausgestoßenen der Gesellschaft ihre Räume öffnete? Welch ein Thema!

Nichts von alledem bei dem Bremer Prediger Ernst Uhl. „Laßt in Eurer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen, wie der Geist sie eingibt“, liest er aus einem Paulus-Brief vor: „Singt und jubelt aus vollem Herzen zum Lob des Herrn! Sagt Gott, dem Vater, jederzeit Dank für alles im Namen Jesu Christi, unseres Herrn!“ Das ist Predigt als geschwätziges Drumherumreden.

Einige befürchteten bei dem Gottesdienst unter Staatssicherheits-Bedingungen, „die Kirche ließe sich hier von staatlichen oder nationalen Interessen vereinnahmen“, berichtet Uhl. Und? Dennoch haben man „ja zu dem Gottesdienst gesagt“. Warum? „Weil dies der Ort ist, an Gott zu erinnern als den, der Macht über Menschen und Völker“ hat.

Auch „sozialistische oder sozialistisch angehauchte“ Utopie könne helfen beim „Vermitteln von Sinn und Perspektive“, sagt der Pfarrer, „gestatten Sie mir den ungeliebten Gedanken“, mutig und einfach so. Aber über das Problem der Deutschen ohne Utopie sagt er nichts.

Unvermeidlich der Gorbatschow-Ausspruch vom dem „Zu-Spät“. Uhl dazu: „So und erst recht gibt es vor Gott und der Geschichte ein unumkehrbares Zu-Spät...“ Genau das Gegenteil wird er am Buß- und Bettag sagen: Für Umkehr ist es nie zu spät.

„Lange haben auch Christen gedacht, das mit dem Gottesdienst sei nicht so wichtig. Auf das Tun des Guten käme es an. Heute, wo viele es spüren, daß es machtvolle Fakten gibt, gegen die sich mit unserem Tun allein nicht viel ausrichten läßt, scheint es mir geradezu ein Heilmittel für die Seele zu sein, ... Feier, Besinnen, Buße und Einkehr halten, Loben dessen, der die Macht hat, Christus.“ Die versammelte Staatsmacht wird es gern gehört haben.

Salbungsvolle Worte als „Heilmittel für die Seele“, damit das Tun sich mit den „machtvollen Fakten“ resignativ arrangieren kann – das ist das Objekt der Religionskritik in ihrer schlichtesten klassischen Form. Diese Predigt zum Tag der Deutschen Einheit dokumentiert, daß die (West-)Kirche von dem Ringen des Kirchenbundes der DDR um seine Rolle im Staat nichts gelernt hat. K.W.