: Einheitsfeier im Polizeikessel
■ Randale in der Folge des Demonstrationsverbots / Bundespräsident nahm ein Bad in der Protest-Menge
Es sollte eine von abweichenden Meinungsäußerungen ungestörte Einheitsfeier werden, das Gegenteil wurde erreicht: Martialisch bewaffnete Polizeihundertschaften und mehrere Gruppen ziviler Einsatzkräfte mit Schläger-Handschuhen und Knüppeln durchquerten das „Fest der Einheit“ so oft, daß ungetrübte Festfreude nicht möglich war. Nicht nur einzelne Demonstrantengruppen, sondern das ganze Feiergeschehen war schließlich von Polizeigruppen eingeschlossen.
Als gegen Mittag die Polizei sogar mitten in dem Festgetümmel eine Gruppe jüngerer BesucherInnen, die ihrem Outfit nach zu den DemonstrantInnen paßten, regelrecht umzingelt hatte, mußten die Fest-Organisatoren vermitteln, um eine Straßenschlacht zwischen den Wurst- und Bierbuden zu vermeiden.
Auch als der Bundespräsident Roman Herzog überraschend aus dem Hinterausgang der unteren Rathaushalle hinaustrat, um durch die Menge hinüber zu einem Hintereingang des Domes zu gehen, waren die Parolen „Nie wieder Deutschland“ sofort präsent, Eier und ein Knallkörper flogen. Von der Menge dürfte Herzog nur die ca. 50 Zivilen Body-Guards gesehen haben, die ihn durch die Menge schoben. Uniformierte Polizei war auf diesen Moment nicht vorbereitet - erst als Herzog schon mitten auf dem Marktplatz stand, kam eine Hundertschaft den Zivilen entgegen und ließ solche FestbesucherInnen nicht durch, die jünger aussahen und eine schwarze Lederjacke und/oder auffällige Frisur trugen.
Massive Polizeieinsätze hatten am Vormittag die DemonstrantInnen immer wieder angehalten und zu zerstreuen versucht - mit dem „Erfolg“, daß einige hundert GegnerInnen des Einheitsfestes sich unter das Volk mischten. Dort für die Polizei kaum noch zu identifizieren waren.
Morgens ab etwa sieben Uhr hatten SEK-ler auch schon das Mädchenkulturzentrum in der Heinrichstraße umstellt, in dem sich etwa hundert Frauen gesammelt hatten. Sie zeigten sich wenig überrascht von der Blockade: „Das Haus wird schon seit Tagen überwacht,“ so eine Sprecherin.
Die Zivilpolizei habe schräg gegenüber eine Wohnung gemietet und von dort die Kameras auf das Haus gerichtet. Mehrere ZeugInnen beobachteten am Montagmorgen, daß Polizeibeamte Steine hinterm Mädchenkulturzentrum sammelten. „Die wollen nachher sagen, daß wir das waren, um uns zu kriminalisieren.“ Die Polizei, daraufhin befragt, erklärte, man müsse schließlich die potentiellen Wurfgeschosse zur Seite räumen. Ansonsten: „Kein Kommentar“.
Um acht Uhr hatten das „Bündnisses gegen die Nationalfeier“ gestern früh am Sielwall losmarschieren wollen - trotz Verbot. Zu diesem Zeitpunkt war die Sielwall-Kreuzung bereits von massivem Polizeiaufgebot blockiert. Etwa hundert DemonstrantInnen befanden sich innerhalb des Polizeikordons, konnten aber später die Sielwallkreuzung verlassen. Mutmaßliche Demo-TeilnehmerInnen, die anschließend in kleinen Gruppen durchs Viertel schlenderten, wurden von der Polizei auf ihre Personalien überprüft.
Um neun Uhr zog die Polizei aus Garten und Heinrichstraße ab, und die Frauen dort formierten sich. An der Ecke Humboldtsraße/Dobben schlossen sich ihnen weitere Protestwillige an, sodaß sich der Zug auf etwa 1000 Menschen vergrößerte. Auf dem Weg zum Bahnhof spaltete sich eine Gruppe von etwa 400 Menschen ab, die sich vom Osten her der Kongreßhalle näherten. Ihnen gelang es, eine der Absperrungen zu durchbrechen und bis zur Bürgerweide vorzudringen. Etwa hundert Demonstrantinnen wurden anschließend in der Gustav-Deetjen-Allee eingekesselt.
Der von den Frauen geführte Demonstrationszug bewegte sich derweil an der gesperrten Hermann-Bösestraße vorbei zur westlich vom Kongreßzentrum gelegenen Findorffstraße - unbehelligt bis zur Sommerstraße.
Hier schlossen sich SEK-ler, BundesgrenzschützerInnen und Polizei zusammen. Die Polizei forderte per Megaphon, die Kundgebung aufzulösen und unterstrich die Forderung mit Schubsen und Tritten. Die TeilnehmerInnen, bereit zum Rückzug, wendeten sich dem Tunnel zu. Gegen ihren Willen, - das andere Ende des Tunnels wurde ebenfalls durch ein massives Polizeiaufgebot versperrt - , wurden sie dort hineingetrieben. Eine halbe Stunde später wurde ein Tunnelausgang freigegeben, die Eingekesselten zogen grüppchenweise weiter.
Die meisten schlossen sich direkt einem anderen Demozug an, der sich gegen elf Uhr in der Falkenstraße aufgebaut hatte. Etwa 1.000 vorwiegend vermummte GegnerInnen der Nationalfeier zogen in Richtung Bahnhof und zerstörten dabei Helmut Kohls Konterfei, der eben noch am Straßenrand „Sicher in die Zukunft“ geblickt hatte. Steine flogen gegen Einsatzfahrzeuge der Polizei, die sichtlich desorientiert war, zumal die DemonstrantInnen über den Rembertiring in Richtung Innenstadt gingen. Am Schüsselkorb gingen die Scheiben mehrerer Geschäfte und Banken zu Bruch.
Vor der Deutschen Bank kesselte die Polizei eine kleinere Gruppe von DemonstrantInnen ein und prügelte sie brutal in die zersplitterte Scheibe hinein, bevor alle festgenommen wurden. Fast eine Stunde später eskortierte die Polizei eine Gruppe mutmaßlicher DemonstrantInnen, die mitten auf dem Fest eingekesselt worden war, zu diesen zerbrochenen Scheiben der Bank, um sie dann einzeln abzuführen.
Ein junger Mann, der über Megaphon Parolen gerufen hatte, wurde zusammengeschlagen und ebenfalls so brutal in die Scheibe hineingestoßen, daß er ärtzlich behandelt werden mußte.
Den Demonstrationszug zum Fest hatte die Polizei erst gestoppt, als er bereits vor dem Rathaus war. BesucherInnen des Volksfestes stoben auseinander, MitarbeiterInnen der Werbestände der Bundesländer rafften ihre Materialien zusammen. Die Polizei stürmte über den Domshof und verfolgte DemonstrantInnen, von denen ein Teil in die Wallanlagen flüchtete. Wer erwischt wurde, kriegte Schläge oder Tritte. Verletzte saßen heulend auf dem Weg, ein Passant sprang vor Panik in den Teich.
Gegen Mittag hatten einige hundert DemonstrantInnen sich wieder zusammengefunden - mitten auf dem Festplatz. Ministerpräsident Seite wurde gnadenlos ausgepfiffen, als er zwischen Musik und Würstchenessen ein paar Worte sagen wollte, der im Programm angekündigte Bürgermeister Wedemeier kam vorsichtshalber gar nicht auf die Bühne.
Vor dem Zelt mit Informationszetteln des Bundestages lagen Broschüren auf dem regennassen Boden. Immer wieder drängelten sich Polizeiketten mit Helm und Schildern bewaffnet durch die dicht gedrängten Menschen, ohne aber auch nur den Bundespräsentation vor der lautstarken Konfrontation mit Andersdenkenden bewahren zu können.
Der Bundespräsident brach daraufhin seinen Bremen-Besuch ohne offizielle Begründung vorzeitig ab.
dah/K.W.
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