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Anekdoten von früher

■ Unter dem Motto "Auch unsere Biographie begann vor 1989" luden Bürgerrechtler zu einem Stadtrundgang ein

Schaurig-schön müssen die Zeiten gewesen sein, als in der DDR Systemgegner und die Stasi Räuber und Gendarm spielten. Das jedenfalls war der Eindruck, den man auf einem Rundgang am Sonntag nachmittag gewinnen konnte, bei dem die Bürgerrechtler Marianne Birthler, Carlo Jordan und Gerd Poppe unter dem selbstbewußt-trotzigen Motto „Auch unsere Biographie begann vor 1989“ die drei Dutzend Zuschauer in Interna und Hintergründe der DDR-Opposition vor der Wende einweihten.

Die drei hatten vor allem Anekdoten zu erzählen: Besonders intensiv beschattet wurde die Wohnung von Gerd und Ulrike Poppe in der Rykestraße 28, in der die Kontakte zwischen DDR-Oppositionellen, Systemgegnern aus den anderen Ostblockstaaten und Westgrünen zusammenliefen. So versuchte die Staatssicherheit den Poppes mit „konspirativer Technik“ auf die Schliche zu kommen: Ein Richtmikrofon wurde vom Dachboden in die zwei Meter darunter liegende Wohnung der Poppes genau in die Mitte des Tisches gelegt, um den herum alle wichtigen politischen Gespräche stattfanden. Durch den Hinweis einer Nachbarin („Der neue Mieter auf dem Dachboden benimmt sich aber komisch“) konnten die Poppes schließlich das Mikrofon auf dem Dachboden ausfindig machen und entfernen. Lakonischer Eintrag in den Stasi-Akten: „Familie hat soeben konspirative Technik dekonspiriert.“

Während in den siebziger Jahren die DDR-Opposition sehr stark mit der Kulturszene verknüpft war, änderte sich die personelle Zusammensetzung mit der Ausbürgerung Biermanns und den nachfolgenden Ausreisen vieler Schriftsteller und Kulturschaffender. Es begann die Zeit der öffentlichen Zusammenkünfte in den Kirchen und damit die Ausbildung der typischen Oppositionsmischung aus DDR-Alt-68ern und Klerikalen. So waren die Kirchen der einzige halböffentliche Raum, wo Diskussionen möglich waren. Die Pfarrer stellten für vieles – auch was nicht unmittelbar mit dem christlichen Auftrag zusammenhing – Räume zur Verfügung. So trafen sich Frauen- und Friedensgruppen ebenso wie die ersten Lesben- und Schwulengruppen in den Gemeinden. Auch die in der DDR absolut verpönten Punks, die keinen Zutritt zu öffentlichen Cafés und Gaststätten hatten, trafen sich dort zu Weihnachtsfeiern. Allerdings waren die Kirchen nicht ausschließlich ein Ort des politischen Widerstandes, betonte Marianne Birthler. Da würden heute einige Legenden gebildet. Was in den einzelnen Gemeinden möglich war, hing nicht zuletzt von dem Engagement einzelner ab. Dagmar Schediwy

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