Ganz große Koalition für Einwegspritzen

■ Bundesweit einmaliger Beschluß von CDU, SPD, PDS und Grünen bannt Aids-Gefahr im Knast / Konflikt mit Justizsenatorin

Mit der Ausgabe von sterilen Einwegspritzen an drogenabhängige Gefangene soll Berlin als erste bundesdeutsche Stadt einen konsequenten Schritt in Richtung Aids-Vorbeugung tun. Dies sieht zumindest der Beschluß des Gesundheitsausschusses des Abgeordnetenhauses vor, der jetzt ein dreistufiges Konzept der Aids-Prävention verabschiedete. Das von allen Parteien einstimmig beschlossene Konzept sieht neben der Schaffung weiterer Therapieplätze und einer bedarfsgerechten Ausweitung von psychosozial betreuten Drogenersatztherapien erstmalig auch die Ausgabe von sterilen Einwegspritzen in einem abgegrenzten Bereich des Strafvollzuges vor. Hintergrund des überraschenden Beschlusses sind neue Untersuchungen des Berliner Tropeninstituts. Danach drohe die Ausbreitung des HIV-Virus bei drogenabhängigen Strafgefangenen zur Hauptansteckungsquelle für die übrige Bevölkerung zu werden. Ein Umstand, dem sich auch die CDU-Mitglieder des Gesundheitsausschusses nicht verschließen mochten.

Mit der Forderung der Gesundheitspolitiker scheint der Konflikt zwischen Justizsenatorin und Gesundheitssenator vorprogrammiert. Denn während Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) als Befürworter einer kontrollierten Abgabe von Einwegspritzen in Gefängnissen gilt, hat die Justizsenatorin Peschel-Gutzeit (SPD) noch vor wenigen Wochen klar dagegen Stellung bezogen. Sie ließ statt dessen Kästchen mit Desinfektionsmitteln an Strafgefangene verteilen, damit diese ihre Spritzbestecke vor der Benutzung reinigen können: eine von Fachleuten als unwirksam und sogar gefährlich eingestufte Maßnahme, weil sie die Gefangenen in falscher Sicherheit wiege.

Die Ablehnung der Senatorin von Einwegspritzen steht auch im Gegensatz zu Erfahrungen, daß bei nicht inhaftierten Drogenabhängigen mit der Vergabe von sterilen Spritzen und Methadon-Programmen die Ausbreitung von HIV-Infektionen eingedämmt werden konnte. Peschel-Gutzeits Begründung: Es bestünde die Gefahr, daß Gefangene kontaminierte Injektionsbestecke als Waffe gegen Vollzugsbedienstete verwenden. Für Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher von Bündnis 90/ Die Grünen, ein unsinniges Argument. Schließlich könne ein infizierter Häftling anstelle einer Kanüle genausogut ein Küchenmesser oder eine Rasierklinge benutzen. Peter Lerch