Rückzug und Rebell

■ Anselm Weber zu seiner Inszenierung „Nathan der Weise/Der Jude von Malta“, die am Freitag Premiere hat

Anselm Weber tippt jeden Gedanken kurz an, blickt dann jeweils für einen Moment hoch, ob weitere Erläuterungen gewünscht seien, und geht zum nächsten über. Dialektik der Aufklärung, Vernunft als Repressionsinstrument, prototypische Strategien von Ausgegrenzten. Sind das tatsächlich die Punkte, um die Anselm Webers Gedanken gerade kreisen? Oder nur Stichwörter, von denen er glaubt, daß sie einen Journalisten beeindrucken können? Merkwürdig nur, daß der Name Foucault nicht fällt; er hätte natürlich noch in diesen Zusammenhang gehört.

Dabei hat das Projekt, das Anselm Weber (30), Theaterregisseur, die letzte Zeit umtrieb, gar kein Statement dropping nötig. Auch ohne Absicherung im intellektuellen Überbau hat die Idee einen hohen Beeindruckungskoeffizienten. Lessings Nathan der Weise und Christopher Marlowes Juden von Malta hat Anselm Weber ineinander und auf die Bühne des Hamburger Schauspielhaus gestemmt. Das ist ohne Frage eine Leistung - allein schon von der sportiven Seite her (und diesbezüglich wird auch dem Sitzfleisch des Publikums bei der Premiere am Freitag einiges abverlangt, vier, fünf Stunden wird's wohl dauern).

Aber klingt die Idee nicht auch etwas akademisch? Denn Lessings Märchenpredigt von Vernunft und Toleranz und Marlowes Moritat von Rache und Haß, von Mord und Totschlag aufeinander zu beziehen ist zwar ganz bestimmt eine höchst interessante Fragestellung. Aber weckt das nicht eher Assoziationen in Richtung einer soliden Proseminarsarbeit? Was bleibt da tatsächlich fürs Theater zu tun, wenn die Stücke gerade in ihrer Gegensätzlickeit so gut ineinanderpassen?

Anselm Weber stutzt einen Moment, das einzige Mal in dem einstündigen Gespräch. Eher hätte er wohl Fragen in die Richtung erwartet, ob er sich tatsächlich zutraue, beiden Stücken gerecht zu werden, ob der „Nathan“ allein nicht gereicht hätte. Die Art, wie er reagiert verrät dann allerdings einiges über sein Theaterverständnis. Anselm Weber vergißt nämlich alle Theorie und wird konkret. Er erzählt von Szenen, von Abläufen, von Blicken.

Was heißt es etwa für das Operettenfinale im „Nathan“, wenn die Figuren vorher zugesehen haben, wie der Jude Barabas bei Marlowe getötet wird? Und ist Nathans Ringparabel nicht der Versuch, um sein blankes Leben zu reden, wenn er vorher die Vertreibung des Barabas mitansehen mußte? Überhaupt, die beiden Hauptfiguren, wenn man sie konkret gegenüberstellt, da ist sich Anselm Weber sicher, sind Reibungsflächen von selbst da. Der eine zieht sich zurück, der andere leistet Widerstand. Es komme eben nur darauf an, das anschaulich und emotional begreifbar rüberzubringen.

Anselm Weber ist in seinem Element. Situationen bauen, in die die Figuren sicher hineingestellt sind, genaue Textarbeit, emotionale Nachvollziehbarkeit, das ist sein Theater. Insofern bezeichnet er sich selbst als fast konservativ. Und auch bei dem aktuellen Projekt will er als getreuer Interpret fungieren und die beiden in den Stücken angelegten Handlungsmodelle sichtbar machen. Ob's klappt, werde man sehen.

Das wird man, sicherlich. Eine Frage noch: Geht Anselm Weber nicht wie auch schon in der letzten Spielzeit mit Rainald Goetz' Kritik in Festung ein hohes Risiko ein? Ist Anselm Weber etwa ein Spieler? Anselm Weber lacht. „Ich bin wohl tatsächlich etwas latent gefährdet“, sagt er. Und wie er das sagt, klingt es fast so, als sei er ein bißchen geschmeichelt.

Vielleicht drückt er deshalb zum Abschied so kräftig die Hand. Dazu fällt er in breitestes Bayrisch. „Schan mer mol.“ Bis zur Premiere hat er noch einiges zu tun. Wird schon klappen.

Dirk Knipphals