: Van Nispen: „Krasses Elternversagen“
■ Innensenator und Polizeipräsident sind zufrieden mit ihrer Deeskalationsstrategie zum 3. Oktober
„Das war die größte sicherheitspolitische Herausforderung seit 14 Jahren“, nämlich seit der Vereidigung von Bundeswehr-Rekruten im Weser-Stadion am 6. Mai 1980 und den militanten DemonstrantInnen dagegen, erklärte gestern Bremens liberaler Innensenator van Nispen und lobte: „Die Polizei hat ihren Auftrag im wesentlichen erfolgreich bestanden.“ Im Vergleich zu dem 6. Mai habe es wenig Verletzte gegeben. Er, van Nispen, sehe die drei Tage des Einheits-Festes, und an zwei Tagen sei es ein „gelungenes Volksfest“ gewesen.
Während der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Hermann Lutz, erklärt hatte, die Demonstranten seien nicht Demonstranten gewesen, sondern „hochgradige Kriminelle“ (vgl. S. 5), versuchte van Nispen zu differenzieren. Es habe „Drahtzieher“ gegeben, aber durchaus auch „Mitläufer“ und „sehr junge Leute, teilweise Kinder“. Sonntag Nacht seien „12, 13, 14jährige durch das Viertel getobt“, das sei ein Fall von „krassem Elternversagen“. Viele würden „dort ihre Happening-Bedürfnisse austoben“, ein gesellschaftliches Problem, das durch Eltern und Schule zu lösen sei.
Die Strategie der „Deeskalation durch Stärke“ habe zumindest Schlimmeres verhindert, meinte der Innensenator, das Demonstrationsverbot „war richtig in dem Sinne, daß wir gar keine Wahl hatten“. Zwölf verletzte Polizisten habe es gegeben, einer mit Kiefernbruch liege noch im Krankenhaus - sein Staatsrat habe einen „Kondolenzbesuch gemacht“.
Der Bremer Polizeipräsident Rolf Lüken hatte die Kritik der GdP mit den Worten zurückgewiesen: „Der Sachverstand, die Ereignisse zu beurteilen, wächst anscheinend mit zunehmender Entfernung zum Problem.“ Er räumte allerdings ein, daß die Polizei mit der Ingewahrsamnahme von 274 Randalierern auf „Kapazitätsprobleme“ gestoßen sei: „Wir konnten die ja nicht, wie in Südamerika, alle ins Weserstadion stecken.“ Die Überforderung hatte für die stundenlang in Gewahrsam Genommenen ganz konkrete Auswirkungen. Lüken: „Daß die nichts zu essen bekommen haben, ist unter diesen Umständen auch noch zumutbar.“
Insgesamt seien am Sonntag 74 und am Montag 274 in Gewahrsam genommen worden. Unter ihnen 45 Jugendliche. Allen drohen Anzeigen des Verstoßes gegen das Demonstrationsverbot - eine Ordnungswidrigkeit. Gegen wieviele der Festgenommenen auch wegen anderer Vorwürfe ermittelt werde, konnte Lüken nicht sagen.
Verärgert berichtete der Innensenator, daß der Haftrichter schon am Montag Nachmittag in einem Präzedenz-Fall die sofortige Freilassung einer in Gewahrsam genommenen Person verfügt hatte. „Ich weiß von Polizeibeamten, die wütend sind“, erklärte van Nispen. „Aber wir sind daran gebunden.“ Es gebe eben eine Gewaltenteilung, die er grundsätzlich bejahe. Gegen 22 Uhr sei schließlich der letzte freigelassen worden. Daß die Freilassungen zum Teil zu Fuß Kilometer entfernt von der Innenstadt passiert seien, wußte der Polizeipräsident nicht.
Das Sielwall-Haus, das zum Auftakt der Polizeiaktionen am Sonntag ohne richterlichen Befehl durchsucht worden war, sei in den Wochen vorher das logistische Zentrum gewesen, meinte Lüken. Dies habe sich bestätigt: „Alle Aktionen vor dem 3.10. - mit Ausnahme des Bombenanschlages auf das FDP-Büro - können wir dem Sielwallhaus zuordnen.“ Man habe Flugblätter gefunden und ein Funkgerät, mit dem man Polizeifunk abhören und auch stören könne. Auch am Montag war der Polizeifunk noch gestört worden - „das geht mit jedem Funkgerät“, erklärte Lüken. Wenn da wirklich Telefonleitungen aus der Wand gerissen worden seien, dann würde „Schadensersatz durch die Polizei“ geleistet, räumte Lüken ein. Es sei bei der präventiven Durchsuchung darum gegangen, „das Haus kommunikationsunfähig zu machen“.
Der Innensenator meinte drohend in Richtung Sielwall-Haus, er sei nicht bereit, „alles mit dem Mantel der Liebe zuzudecken.“ Der neben van Nispen sitzende CDU-Politiker Borttscheller souflierte unüberhörbar: „Dann sag' auch, der Senat fördert es.“ K.W.
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