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Was ihm fehlt

Mitleid mit den Männern: Drei Versuche von Frauen über Pornographie als Leidenschaft  ■ Von Barbara Vinken

Auch die Pornographie hat eine Geschichte, so ewig sie die immer gleiche, natürliche Triebhaftigkeit und so unermüdlich sie die endliche Zahl der Positionen, der begrenzten Perspektiven auf die Geschlechtsteile zu wiederholen scheint. Die Geschichte der Pornographie, das zeigt Lynn Hunts Essaysammlung, hängt wie alle Bewegungen der Moderne mit dem Aufkommen des Bürgertums und des Buchdrucks, mit den revolutionären Bewegungen und der quasi demokratischen Subversion der etablierten Autoritäten, des Klerus und der Aristokratie, zusammen. In ihrer modernen Form ist die Pornographie aufs engste mit dem Aufkommen des Romans, und das heißt mit dem, was wir heute „fiktiven Realismus“ nennen, verschwistert. Mit der literarischen Fiktion teilt die Pornographie eine Geschichte der Zensur, für die die verderbliche Wirkung aller Fiktion sich als eine hauptsächlich pornographische darstellte. Pornographie wird durch Zensur konstituiert. Und so hat auch die Pornographie wie alle anständigen Emanzipationsbewegungen ihre Scheiterhaufen und Märtyrer.

Hunts Sammlung legt die aktuellen Zwiespältigkeiten in der Bewertung von Pornographie offen. Pornographie erweist sich als neuralgischer Punkt, an dem der Diskurs der Emanzipation an seine Grenze stößt. Das sich aus den Fesseln der Autoritäten auch mit Hilfe der Pornographie befreiende bürgerliche Subjekt erweist sich im Diskurs der Pornographie nicht als das, als was es sich in der Ideologie der Aufklärung ausgibt, als geschlechtsneutral, sondern als unhintergehbar geschlechtlich. Pornographie, das macht das Thema so brisant, liegt am Schnittpunkt der Ordnung der Geschlechter und der politischen Ordnung.

Einerseits feiert Pornographie vorgeblich die Befreiung des weiblichen Begehrens, kann sie also dem Diskurs der Emanzipation bruchlos eingefügt werden, sofern sie etwa in der Französischen Revolution die etablierten Autoritäten der Zeit, Adel und Klerus, diskreditiert hat. Andererseits aber wurde sie offensichtlich dazu benutzt, die Demokratie nicht nur zu befördern, sondern auch in ihr die Gleichheit der Männer auf Kosten der Frauen zu untermauern, sofern sie jede Frau, die öffentlich auftritt, als öffentliche Frau denunziert. Am Beispiel der Marie Antoinette zeigt Lynn Hunt, wie Pornographie für den systematischen Ausschluß von Frauen aus der Öffentlichkeit benutzt wird, indem diese auf ihre Geschlechtlichkeit reduziert werden, die sie pornographisch begehren läßt und sie andererseits dem pornographischen Begehren der versammelten Männer aussetzt.

Es ist dieser politische Aspekt einer vermeintlich unpolitischen Pornographie, der die Debatte um die Zensur von Pornographie im größeren Kontext der „sexuellen Belästigung“ (sexual harassment) und der „verleumderischen Rede“ (hate speech) in den Vereinigten Staaten hohe Wellen schlagen läßt und den Pegel des „politisch Erlaubten“ (political correctness) auf einen neuen Sollwert bringt. Catharine MacKinnon, prominente Wortführerin eines radikal- konservativen Feminismus, will der Pornographie mit dem Gesetz zu Leibe rücken. Der Juraprofessorin geht es im Namen der Gleichheit der Geschlechter darum, Pornographie aus dem die Freiheit der Rede garantierenden „First Amendment“ der amerikanischen Verfassung herauszunehmen. Das aber kann juristisch nur klappen, wenn Pornographie als Handlung und nicht als bloßes Gedankenspiel verstanden wird. „Nur Worte“ jedenfalls, wie der ironische Titel ihres Buches lautet, sind es nicht, die Pornographie zu Pornographie machen.

Denn Pornographie ist ein allgegenwärtiges, den Alltag prägendes Phänomen. MacKinnon stellt sich damit einem Faktum, das in der Debatte um die Pornographie gern verdrängt wird: daß es sich nämlich nicht um das Privatvergnügen einiger anrüchiger Gestalten handelt, sondern um ein weitverbreitetes Konsumverhalten. Pornohefte und -videos kann man nach dem hiesigen Ladenschlußgesetz bequemer einkaufen als Brot und Wein. Um die atemberaubenden Umsätze der Pornoindustrie zu erzielen, müssen deren Produkte von einem überwältigenden Publikum, in der Regel von Männern, regelmäßig konsumiert werden. In gewisser Weise scheint diese Welt eine, sei es auch insgeheim, pornographische Welt. Der öffentliche Raum ist mit pornographischen Bildern gesättigt. Was also, vor jeder moralischen Wertung, macht unsere Gesellschaft süchtig nach immer mehr Pornographie? Was macht Pornographie, und wie?

Für MacKinnon ist die Antwort klar. Für sie ist Pornographie zweidimensionaler Sex und funktioniert nach dem behavioristischen Reiz-Reaktions-Schema. Auf den durch die Abbildung entblößter Geschlechtsteile ausgelösten Reiz folgt prompt die Reaktion: Erektion und Masturbation. MacKinnon konstruiert das männliche Begehren nach dem Modell der Pawlowschen Hunde. Wie der Hund reagiert, so reagiert auch der Mann; sein Begehren ist konditioniert. Kommt ihm die Natur, Woyzeck zu zitieren, so wächst ihm der Schwanz in den Kopf.

Leider partizipiert MacKinnon an der Logik eines Diskurses, gegen den sie sich so vehement richtet. Begehren funktioniert nach MacKinnon für den Mann so, wie es das pornographische Szenario ausmacht. Von der Komplexität des Begehrens, von seinen imaginären Dimensionen, von der Funktionsweise der Triebrepräsentanzen ist MacKinnon gänzlich unbeleckt. Sie bleibt, sei es auch zu den begrenzten Bedingungen ihres rechtspolitischen Erfolgs, in einem durch die Entwicklung der Psychoanalyse längst überholten Register, das von der strikten Aufteilung in Körper und Geist mitsamt den dazugehörigen Assoziationen von hoch und niedrig ausgeht.

Geschlechtlichkeit fungiert in diesem Register als ganz und gar ungeistige Tätigkeit, gegen die kein Argument gewachsen ist: „Versuchen Sie doch mal, mit einem Orgasmus zu argumentieren.“ MacKinnon kehrt die Wertung der Pornographie um. Während der Diskurs der Pornographie behauptet, daß der Körper von seiner Kopflastigkeit befreit werden und so zu seinem Recht kommen müsse, daß jede Erektion auf sexuelle Reize automatisch, natürlich und folglich begrüßenswert sei, daß Lust nichts als eine Frage der Stellung, Erregung gänzlich unpersönlich und der Körper beliebig austauschbar sei, hört es sich bei MacKinnon so an, als wäre jede männliche Erektion eine persönliche Beleidigung für die Frauen.

Doch dabei bleibt es signifikanterweise nicht. Denn weil das männliche Begehren dem pornographischen Szenario angeblich zu konform ist, werde der Frau in diesem Szenario tatsächlich Gewalt angetan, werde ihr tatsächlicher Schaden zugefügt. MacKinnon behauptet einen kausalen Zusammenhang zwischen Pornographie, Vergewaltigung und Gewaltausübung gegen Frauen. Zwar haben die zu diesem Thema erstellten Studien dies nie zwingend beweisen können. Aber MacKinnon meint mehr als nur diesen Zusammenhang, einen diesem zugrunde liegenden, tiefer liegenden Schaden. Über alle Erniedrigung, Verletzung und Demütigung hinaus liegt der in der Pornographie zugefügte Schaden in der fatalen Mißrepräsentation der Frau.

Denn während der Mann der Schwanz sein soll, der er ist, sei die Frau nicht das unersättliche Loch, als das sie in der Pornographie erscheint. Während dort die Frauen ständig immer mehr wollen, tauchen sie bei MacKinnon nie als begehrende Subjekte, sondern allein als designierte Opfer auf, mißbraucht, geschändet und deshalb schutzbedürftig. Pornographie, die der Frau diese Geschlechtsrolle mehr als alle anderen Instanzen gewaltsam aufprägt, ist männliches Gewalt-Antun in Reinkultur. Die Vergewaltigung ist der Standardfall dieses Gewalt-Antuns, das von den weiblichen Opfern obendrein verlangt, daß sie so tun, als ob ihnen die angetane Gewalt gefiele, als ob sie sie genössen. Sie lächeln, so der Beweis, glücklich. Weibliches lustvolles Konsumieren oder Darstellen von Pornographie kann da nur ein tragisches Mißverständnis sein. Pornographie muß lügen, damit die Männer bekommen, was sie wollen. Konsequenterweise müßte MacKinnon die Pornographie dafür kritisieren, daß sie, was das weibliche Begehren angeht, gerade nicht realistisch, sondern pur fiktiv, in einem grundsätzlichen Sinne unwahr ist.

Das ist der Punkt, an dem sich, unter Wahrung des Ausgangspunktes, MacKinnons Argumentation umkehren läßt. Denn man kann wohl eher behaupten, daß die Fiktion der Pornographie eben darin liegt, das Dargestellte wahr, wirklich und realistisch erscheinen zu lassen. Und das liegt nicht nur daran, daß die Pornographie keine Praxis ist, sondern ein teilweise virtuos gehandhabter Modus der Aufzeichnung, in der „Realität“ fiktiv erzeugt wird. Damit soll nicht bestritten werden, daß der Geschlechtsakt tatsächlich stattfindet und daß auch dies ein rechtserhebliches Politikum ist. Aber daß dies so ist, ist pornographisch völlig unerheblich; pornographisch wichtig ist allein, daß es so wirkt.

Pornographie ist in einem radikalen Sinne Fiktion, sofern es bei ihr darum geht, ein phantasmatisches Szenario als die nackte Wahrheit des Sex darzustellen. Pornographie ist die reine Form sexueller Fiktion, der Fiktion nämlich, daß es Sex „einfach gibt“. Das Phantasma der gängigen heterosexuellen Pornographie besteht darin, daß es kein Phantasma gibt, sondern daß „einem eben die Natur – in der natürlichen Materialität der Körper mitsamt ihrer natürlichen Triebhaftigkeit – so kommt“. Die Pornographie ist der krasseste Ausdruck des Phantasmas des reinen Triebes und der harten Fakten, des Phantasmas vom „Klartext“. Dessen letzter Beweis sind die in Großaufnahme gut ausgeleuchteten Geschlechtsteile.

Die insgeheime Politik der Pornographie kreist in der Tat um den Status des männlichen Geschlechts (des sogenannten Phallus) und geht deswegen Männern tatsächlich mehr unter die Haut als Frauen. Daß der Penis wirklich und wahrhaftig der Phallus ist, sucht die Pornographie unermüdlich unter Beweis zu stellen. Die nackte Frau will nur, was ihr fehlt, und bestätigt dadurch immer wieder aufs neue, daß er es hat. Die pornographisch abgebildete Frau als Projektionsfläche der den Mann bedrohenden Kastration ist deshalb weniger ein „blutendes Loch“, wie Drucilla Cornell in ihrem in Kürze erscheinenden Buch „Die Versuchung der Pornographie“ meint. Sie ist ein Fetisch, an dem die Spuren der Zurichtung zum Fetisch abzulesen sind, in der gewalttätigen Pornographie ein Fetisch, an dem das Phantasma der Kastration in der Verletzung des Körpers noch mal ausagiert wird.

Pornographie exponiert, um es kurz zu machen, die Machtlosigkeit des Mannes, der von seiner Kastrationsangst verfolgt wird und sie allein nicht lösen kann. Sie ist Symptom dieser Angst und Verleugnung der Spaltung im Subjekt. Sie befriedigt und beruhigt weniger männliche Lust als männliche Angst. Deshalb, trotz allem, mehr Mitleid mit den Männern?

Catharine A. MacKinnon: „Nur Worte“. Fischer Taschenbuch, Reihe ZeitSchriften, 120 Seiten, 19,90 DM

Lynn Hunt (Hrsg.): „Die Erfindung der Pornographie – Obszönität und die Ursprünge der Moderne“. Fischer ZeitSchriften, 282 Seiten, 26,90 DM

Drucilla Cornell: „Die Versuchung der Pornographie“. Voraussichtlich im Februar im Berlin Verlag

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