Jelzin gesund, Astrologen ratlos

■ Rußlands Präsident ist zugeknöpft

Moskau (taz) – Gespannt wartete das Moskauer Pressecorps auf den Auftritt Präsident Jelzins im Kreml. Kurzfristig hatte er zu einer Pressekonferenz geladen. Wird er diesmal kommen oder wieder nicht, wie letzte Woche, als er den Staatsbesuch in Irland einfach verschlafen hatte? Den meisten Journalisten ging es zuerst um den Gesundheitszustand und die geistige Verfassung des Präsidenten. Aber Jelzin lieferte keinen Skandal: Nüchtern betrat er den Saal und trug seinen Text vor, ohne sich wie gewöhnlich zu verhaspeln.

So ganz klar war dennoch nicht, was Jelzin eigentlich mitteilen wollte. Der Hauptteil war eine farblose Bestandsaufnahme der politischen Entwicklung des vergangenen Jahres. Rußland habe sich sehr verändert, war das kaum überraschende Fazit. Mit Regierungschef Tschernomyrdin habe er kürzlich beschlossen, den Reformkurs noch etwas anzuziehen. Die Lage im Lande gestatte es.

Zu den eigentlich spannenden Fragen war aus dem Präsidenten wenig herauszuholen. In den letzten Wochen hatte es Gerüchte gegeben, in Regierung und Präsidentenapparat stünden einschneidende personelle Umbesetzungen bevor. Mögliche Veränderungen mochte Jelzin zwar nicht ausschließen. Daß neben ihm aber Pressesekretär Kostikow saß, entzog zumindest den Spekulationen den Boden, Kostikow selbst stünde auf der Abschußliste. Der Pressechef sei in Ungnade gefallen, hatte es geheißen, weil er Jelzin gemahnt hatte, mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 1996 eine klare politische Position zu beziehen. Bisher sah sich Jelzin überparteilich; ein Präsident „ganz Rußlands“ sei er. Beim USA-Besuch war dann Kostikow überraschend zu Hause geblieben. Auch der außenpolitische Berater Rjurikow und Redenschreiberin Pichoja reisten nicht mit. Im Präsidentenapparat wird gemunkelt, Jelzin-Intimus Iljuschin hintertreibe die Initiativen der eher liberal gesinnten Politiker wie Kostikow und Rjurikow und versuche Jelzin davon abzuhalten, die Nähe der demokratischen Kräfte zu suchen. Iljuschin favorisiert Leute wie den ehemaligen Rüstungsmanager und Chef des Sicherheitsrates, Skokow.

Wenn man nicht in Moskau sei, tanzten die Mäuse eben auf den Tischen. Sobald er zurückkäme, sei alles wieder im Lot, kommentierte Jelzin die stetigen Palastspekulationen. Sein Apparat sei eben ein „lebendiger Organismus“. Daß Kommunisten bei einer Umbildung mit einem Kabinettsposten bedacht werden könnten, wies der Präsident nicht ausdrücklich von sich. Klaus-Helge Donath