Paris: Eine Partei unter Verdacht

Die neuen Korruptionsskandale in Frankreich begannen mit einer Minister-Villa „zum Freundschaftspreis“ recht harmlos – mittlerweile ist die Staatsaffäre fast perfekt  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Seit gestern ermittelt eine Pariser Untersuchungsrichterin gegen die größte Partei der konservativen französischen Regierungskoalition. Die Vorwürfe: Unterschlagung und Verstoß gegen das Parteienfinanzierungsgesetz. Die rechtskonservative „Parti Républicain“ (PR) soll Ende der achtziger Jahre Koffer voller Geld aus dunklen Quellen bezogen haben – insgesamt 35 Millionen Franc (etwa 10,6 Millionen Mark) – und beim Kauf ihres Hauptsitzes in der Pariser rue Constantine krumme Wege gegangen sein. Angebliche Mitwisser der kriminellen Handlungen sind drei französische Regierungsmitglieder: Industrieminister Gérard Longuet, Verteidigungsminister François Léotard und der Minister für industrielle Entwicklung, Alain Madelin.

Zunächst richten sich die Ermittlungen gegen „X“, wie „Unbekannt“. Die auf Finanzsachen spezialisierte Untersuchungsrichterin Mireille Filippini muß prüfen, ob sie ein Gerichtsverfahren einleitet. Die Voruntersuchungen ihres Kollegen Renaud van Ruymbeke ergaben, daß die illegalen Parteispenden teilweise zwischen Frankreich und der Schweiz hin- und hergeschoben wurden, bevor sie bei der PR landeten. Unter anderem soll 1988 die Baugesellschaft Pont- à-Mousson, die sich um den Neubau der Wasserversorgung für die Stadt Nantes bewarb, 4,4 Millionen Franc auf ein Schweizer Konto überwiesen haben. Kontoinhaber René Trager, der auch in zahlreiche Finanzskandale der Sozialistischen Partei (PS) verwickelt ist, soll das Geld an die PR weitergeleitet haben. Sollte es zu einem Verfahren gegen die PR kommen – die Fülle des belastenden Materials läßt wenig Zweifel daran –, wird Regierungschef Edouard Balladur vermutlich drei seiner engsten Gefolgsleute los. Longuet ist Vorsitzender der PR, Léotard und Madelin gehören zum Parteivorstand. Alle drei waren nach Angaben des PR-Schatzmeisters, Jean-Pierre Thomas, über die Finanzoperationen informiert. Und alle drei sind Aktionäre einer Werbeagentur, die an der Umleitung von für die PR bestimmten Spendengeldern beteiligt war.

Minister, gegen die Ermittlungsverfahren laufen, müssen zurücktreten, hat der Regierungschef seit seinem Amtsantritt vor 18 Monaten stets postuliert. Ganz stringent hat sich Balladur freilich nicht an die selbstgesetzte Saubermann- Regel gehalten, mit der er seine Regierung von der affärengeschüttelten sozialistischen Vorgängerin absetzen wollte. Zwar mußte Kommunikationsminister Alain Carignon im Sommer gehen, als er wegen Korruptionsaffären ins Visier der Justiz geriet. Doch seinem Industrieminister gewährte Balladur vor einigen Tagen eine einmonatige Bewährungsfrist. Longuet wird vorgeworfen, seine Villa in Saint-Tropez zum „Freundschaftspreis“ bekommen zu haben. Anstatt sofort ein Gerichtsverfahren eröffnen zu lassen, beschloß Balladur eine Vertagung auf den 31. Oktober – was auch im konservativen Lager heftig umstritten ist.

Was noch relativ klein mit der Villa in Saint-Tropez anfing, hat sich in wenigen Tagen zur Staatsaffäre ausgeweitet. Sieben Monate vor der Präsidentschaftswahl steht das Thema „politische Moral“ ganz oben auf der französischen Tagesordnung. Balladur, der selbst in das höchste Staatsamt strebt, hat vergeblich versucht, dieses Thema unter der Decke zu halten.