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„Wir haben das Recht, uns zu wehren“

■ Angeklagte streiten ab, den Tod des Rechtsradikalen Kaindl geplant zu haben

Berlin (taz) – Im Prozeß um den Mord an dem rechtsradikalen Politiker Gerhard Kaindl wehrten sich die Angeklagten gestern vor dem Berliner Landgericht einhellig gegen den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, nach einem „gemeinsam verfaßten Plan“ gehandelt zu haben. Sechs Türken und ein Deutscher im Alter zwischen 19 und 33 Jahren müssen sich wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes und sechsfacher gefährlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten. Am 4. April 1992 sollen sie in einem China-Restaurant im Berliner Bezirk Neukölln ein Treffen der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ aufgemischt haben und dabei den 47jährigen Schriftführer Kaindl mit Messerstichen in den Rücken tödlich verletzt haben.

Mehmet R., der wegen seiner Rolle in der türkisch-kurdischen „Antifasist Genclik“ (Antifaschistische Jugend) im Vorfeld des Prozesses als potentieller Anführer des Überfalls gehandelt wurde, gab gestern vor Gericht eine umfangreiche politische Erklärung ab. Die immigrantenfeindliche Atmosphäre in Deutschland und der wachsende Rassismus auch seitens der Politiker hätten dazu geführt, daß sie ihren Schutz in die eigenen Hände genommen hätten. „Die anderen haben den Krieg gegen uns eröffnet. Wir haben das Recht, uns zu wehren.“

Daß der Mord an Kaindl geplant oder gewollt gewesen sei, stritt Mehmet R. ab. Spontan seien sie mit Baseballschlägern ausgerüstet in das Restaurant gefahren, nachdem ein Onkel der Angeklagten Fatma B. ihnen erzählt habe, daß er dort den ehemaligen Berliner „Republikaner“-Führer Carsten Pagel gesichtet hätte, so Mehmet R. „Wir wollten die Reps da vertreiben.“ Weitere Absprachen habe es nicht gegeben – „weder darüber wer was macht und erst recht nicht darüber, daß da jemand getötet wird. Das haben wir nicht gewollt.“ Nach einem Handgemenge und einer Unterredung mit dem Kellner habe er selber das Restaurant wieder verlassen und erst am folgenden Tag erfahren, was im Restaurant passiert sei. – Die Gruppe, die jetzt vor dem Berliner Landgericht steht, war verhaftet worden, nachdem der 19jährige Erkan S. sich der Polizei gestellt und ausgesagt hatte. Erkan S. wurde in der vergangenen Woche für schuldunfähig erklärt, nachdem ein gerichtsmedizinisches Gutachten ihm für die Tatzeit eine „paranoid-halluzinatorische Schizophrenie“ attestiert hatte.

Zwei der Angeklagten streiten allerdings ab, am Tatort gewesen zu sein. Der Hauptverdächtige für die tödlichen Stiche auf Kaindl, Cengiz U., ist nach wie vor flüchtig. Auch drei weitere Tatverdächtige werden immer noch gesucht.

Der Prozeß wird am Freitag in Berlin fortgesetzt. Jeannette Goddar

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