Schriftsteller als Gefahrengut

■ Heute öffnet die Buchmesse in Frankfurt ihre Pforten / Lufthansa verweigert Rushdie den Flug

Berlin (taz) – Es herrscht ungewohnt gute Laune zum heutigen Beginn der Frankfurter Buchmesse: „In den westlichen Industriestaaten, in den USA und in der EU hat das Gerede von der Dauerkrise des Buches endlich aufgehört“, freut sich der Chef des Börsenvereins, Gerhard Kurtze.

Die Krise des Buchhandels mag zunächst einmal von der Tagesordnung verschwinden, von der Krise der Menschenrechte ist das nicht zu erwarten. Unter den Tausenden von AutorInnen, die in diesem Jahr zur Buchmesse anreisen werden, wird eine besondere Aufmerksamkeit finden, ohne daß auch nur eines ihrer Bücher in deutscher Übersetzung verfügbar wäre: Die in ihrem Heimatland von der Fatwa bedrohte bangladeschische Schriftstellerin Taslima Nasrin wird aus dem schwedischen Exil anreisen, um an der Präsentation eines Bandes mit „Briefen an Taslima Nasrin“ teilzunehmen.

Es hängt nicht immer nur von fernen Regierungen oder fanatisierten religiösen Machthabern ab, ob verfolgte AutorInnen ihr Recht auf Redefreiheit wahrnehmen können. Das zeigen Informationen, die der taz von Günter Wallraff, der SPD-Bundestagsabgeordneneten Thea Bock und dem Rushdie-Unterstützerkomitee „Article 19“ gegeben worden sind. Die Deutsche Lufthansa sieht sich, wie zuvor schon British Airways, außerstande, Salman Rushdie zu transportieren. Im August letzten Jahres hatte Wallraff ein Treffen Rushdies mit dem türkischen Schriftsteller Aziz Nesin, im letzten Oktober sein Treffen mit Außenminister Kinkel organisiert. Beide Male war die Lufthansa nicht zum Transport bereit, selbst dann nicht, als Johannes Rau, seinerzeit Mitglied des Lufthansa-Aufsichtsrats, sich für Rushdie einsetzte. Zur Begründung werden jetzt Sicherheitsbedenken geltend gemacht: „Wenn eine im höchsten Grade sicherheitsgefährdete Person sozusagen eine öffentliche Veranstaltung macht und damit geradezu Gefahren provoziert“, erklärte Lufthansa-Sprecher Höber gegenüber der taz, „dann ist jede Fluggesellschaft verpflichtet, diese Gefahren abzuwehren.“

Mit einem bedrängten Autor, der so vom Opfer zum Täter, zum Sicherheitsrisiko für andere umgedeutet worden ist, will offenbar auch Klaus Kinkel nichts mehr zu tun haben. Rushdies mehrmaliges dringendes Gesuch um ein Treffen mit Kinkel, der in diesem Jahr dem Außenministerrat der EU vorsitzt, wurde abschlägig beschieden. In einem der taz vorliegenden Schreiben, das auf Kinkels Weisung verfaßt wurde, gibt das Auswärtige Amt vor, es liege nicht „im Interesse des britischen Autors“, mit der Führung der EU zusammenzutreffen. Man wolle den iranischen Präsidenten nicht „verleiten, seine Position zu verhärten“. Erst auf Nachfrage der taz machte das Auswärtige Amt einen Rückzieher. Wenn Rushdie etwas Neues vorzubringen habe, könne man über ein Treffen reden.

Während Luftfahrtgesellschaften sich als Reiseverhinderer profilieren und die Repräsentanten der europäischen Politik eine Strategie der schleichenden Billigung gegenüber den Feinden der Redefreiheit verfolgen, bekunden die Veranstalter der Frankfurter Buchmesse „allen verfolgten Schrifstellern“ ihre Solidarität.

Als sogenanntes Schwerpunktland präsentiert sich dieses Jahr Brasilien. Rund 60 AutorInnen kommen zu Lesungen und Diskussionen an den Main. Wole Soyinka aus Nigeria wird wahrscheinlich nicht kommen dürfen. Er hoffe immer noch auf eine Ausreiseerlaubnis in letzter Minute, heißt es. Diejenigen, die nach Frankfurt kommen können, sollten im Namen der vielen Abwesenden die Menschenrechte zum Thema dieser Buchmesse machen.

Am Sonntag wird der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche einem Schriftsteller verliehen werden, auf den man dabei zählen kann: dem Erzähler Jorge Semprun, der als 19jähriger Résistance-Kämpfer nach Buchenwald verschleppt wurde – ein Freund der Freiheit, ein Experte der totalen Macht aus eigener leidvoller Erfahrung. Jörg Lau

Foto: Saba Laudanna, Marc Darchinger; Montage: taz Tagesthema Seite 3, Seiten 9, 10 und 14