: „Wir nennen es Musik...“
■ ...andere sagen „Lärm“ dazu: 20 Bands sitzen wegen kollektiver Ruhestörung auf der Straße
Die Gitarrenkoffer sind gepackt, die Verstärker verstaut. Die 20 Bands, die seit fünf Jahren in umgebauten Lagerräumen in der Friesenstraße spielen, ziehen aus. Vor allem, weil Anwohner sich neuerdings über den „Lärm“ beschwerten – „wir nennen es Musik“, sagt André Szigethy von den „Dry Halleys“. Mit dem Auszug ziehen die Musiker die letzte Konsequenz aus einem Gerichtsurteil, das zur Kündigung der Lagerräume geführt hatte. Dort waren die Musiker nur zur Untermiete, „praktisch rechtlos“, sagt Szigethy. Alle Vermittlungsversuche der letzten 14 Tage seien gescheitert, erklärten sie gestern in einer letzten Pressekonferenz. Auf eine polizeiliche Räumung wollen es die Musiker nicht ankommen lassen. Weitermachen wollen sie trotzdem, und zwar gemeinsam. Als Initiative „Musik im Viertel“ hoffen sie, noch am ehesten neue Probenräume zu finden. Das kann allerdings dauern. Die bisherigen Angebote haben sich schon wieder sämtlich zerschlagen.
Beim vorerst letzten Treffen der Initiative, in den inzwischen kahlen Kellerräumen, kam nochmal die ganze Wut der Musiker zum Vorschein. „Jahrelang haben wir hier in rechtlosem Zustand gearbeitet, und jetzt ist die Werkstatt weg“, sagt Szigethy. „Hintergangen und ausgebootet“ fühlen sich viele der Musiker. Von der Hauseigentümerin, die zuerst nichts gegen die Bands hatte und dann, auf den Druck der Anwohner, „umgefallen ist“; vom benachbarten „Jungen Theater“, das den Großteil der massiven „Lärm“-Beschwerden eingebracht und damit – unwillentlich oder nicht – das Gerichtsverfahren angestoßen hatte. Szigehty wirft den Theaterleuten „aktive Sterbehilfe“ vor; diese weisen den Vorwurf von sich. Man habe sich bis zuletzt beim Rechtsanwalt der Eigentümerin „um eine Aufhebung der Räumung“ bemüht, sagt Carsten Werner vom „Jungen Theater“. Ohne Erfolg.
Denn nach Ansicht der Eigentümerin sind die Räume „ungeeignet für die Musikgruppen“, sagt deren Rechtsanwalt Nölle. „Die Eigentümerin müßte schon den Entschluß fassen, daraus richtige Musikräume zu schaffen.“ Das aber wolle sie derzeit nicht. Was „historisch ja eigentlich Lagerraum war“, soll Lagerraum bleiben. Daß seine Mandantin lange Zeit von den Bands wußte, die da bei ihr zur Untermiete spielten; daß sie dagegen keine Einwände hatte; daß sie in Kenntnis dieser Konstellation das Vorderhaus ans „Junge Theater“ vermietete und so erst die problematische Nachbarschaft herbeiführte – Nölle bestreitet es nicht. Allerdings habe die Eigentümerin nicht so genau gewußt, wieviele Gruppen im Keller nun spielten. Gleichviel: Mit dem Gerichtsurteil im Rücken wolle man den Laden jetzt „schlicht und einfach dichtmachen“.
Das überrascht die Musiker wie die Theaterleute umso mehr, als Nölle sich zuletzt sehr offen für Kompromißvorschläge gegeben hatte. Z.B.: Die Bands könnten einen direkten Mietvertrag mit der Eigentümerin schließen, ohne Umwege über Untermietverträge; über einen besseren Lärmschutz zwischen Theater- und Musikräumen wollten beide Parteien auch nochmal reden. Mit alledem scheint es nun nichts mehr zu werden. Trotz letzter Vermittlungsversuche durch das Ortsamt und die Kulturbehörde, die Eigentümerin zu erweichen.
Die Konsequenzen tragen nun allein die Musiker. Wer nicht zufällig auch daheim am Keyboard komponieren kann, darf seine Instrumente erstmal einmotten. „Kopfhörer am Gitarrem-Amp“, sagt einer, „das kommt wohl nicht so gut.“ Um wieder richtig spielen zu können, sucht die Initiative nun einen entsprechend großen Gebäudekomplex. Zur Not würden sie nochmal alles selbst um- und ausbauen. Nur nicht mehr ohne schriftliche Abmachung: „Mietverträge auf Schnack“, das haben sie lernen müssen, „sind nichts wert.“ tom
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