Sanssouci: Vorschlag
■ Ein Balanchine-Ballettabend in der Deutschen Oper
Zwei Monate ist es her, da zeigte der Avantgarde-Choreograph Michael Clark im Hebbel Theater, was mit Balanchine alles möglich ist: Er präsentierte eine genialische Neubearbeitung des Ballettklassikers „Apollo“, in der er ganz unverfroren Bewegungselemente Balanchines für eigene Zwecke umfunktionierte. Wer Michael Clark sah, ist auch auf George Balanchine, den Schöpfer des neoklassizistischen Balletts, neugierig geworden. Jetzt kann man die Neugierde gleich an zwei Häusern befriedigen. Die Deutsche Oper zeigt in einer Wiederaufnahme drei, die Staatsoper wird im November als Neueinstudierung zwei Choreographien des alten Meisters zeigen.
Die Deutsche Oper hat sich gedacht: Für jeden Geschmack etwas! Und so gibt es zuerst Tutus und Glitzerdiademe, im zweiten Teil Abstraktes im Trainingsdress und zu guter Letzt Musical- Ballett mit viel guter Laune. Das mittlere Stück, „Die vier Temperamente“, 1947 entstanden (Musik: Paul Hindemith), gehört zu Balanchines Meisterwerken. „Die vier Temperamente“ seien von einer frühen Assimilation von Bewegungselementen des Modern Dance geprägt (die ab Mitte der fünfziger Jahre bei Balanchine ein immer stärkeres Ausmaß annimmt), sagen die einen. Keine Spur von Modern Dance, sagen die anderen, sondern eine Weiterentwicklung des klassischen Vokabulars, das aufgebrochen und in seine Bestandteile zerlegt wird: eine „Demodellierung“. Wie dem auch immer sei, aus „Die vier Temperamente“ weht einen der Hauch einer Moderne an, die zwar vergangen ist, aber ihre Kraft nicht verloren hat. Ein Stück, das immer noch etwas von der Fassungslosigkeit hinterläßt, die es bei seinen ersten Betrachtern ausgelöst haben muß.
An Kraft verloren hat dagegen ganz offensichtlich die Ballettcompanie der Deutschen Oper. „Ich könnte mich nicht ohne Grund bewegen, und der Grund ist Musik“, lautet das Balanchinsche Credo. Doch mit der Musik haben die Tänzer leider Schwierigkeiten: Sie kommen zuweilen aus dem Takt. Balanchines Choreographien, für ihre enorme Geschwindigkeit bekannt, sind für sie zu schnell. So gibt es buntes Allerlei gleich in zweierlei Hinsicht. Das Corps de balletts zieht dekoordiniert seine Nummern durch, nach dem Motto „Jeder so gut er kann“, und für jeden Geschmack gibt es auch etwas zu sehen. Denjenigen, die sich für modernen Tanz interessieren, sei der Balanchine-Abend wegen der „Vier Temperamente“ nichtsdestotrotz heftigst empfohlen.
Der Ballettcompagnie der Deutschen Oper, die mit Bart de Block und Lisa Cullum über zwei hervorragende Solisten und auch ansonsten über hochkarätige Tänzer verfügt, kann man nur größeres Interesse von seiten der Intendanz wünschen. Götz Friedrich hatte nach dem abrupten Abschied des Ballettdirektors Peter Schaufuss zunächst Marcia Haydée im Visier. Daraus ist (Gott sei Dank) nichts geworden. Von einer weiteren Suche ist nichts zu hören. Soll jetzt der nun übergangsweise eingesetzte Ray Barra bleiben? Wie wäre es mit Michael Clark? Michaela Schlagenwerth
Balanchine-Ballettabend, heute wieder, 19.30 Uhr, Deutsche Oper, Bismarckstraße 35, Charlottenburg.
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