Priscilla Presley und der Kurfürst

Der 4. Nationale Transvestiten- und Transsexuellen-Treff (TV/TS) kam in der Transenhauptstadt Chemnitz zusammen / Als Training ein Tageslicht-Ausflug auf die Augustusburg im Erzgebirge  ■ Von Jens Breder

Chemnitz (taz) – „Keine Ahnung, was mich da draußen erwartet, wie ich klarkomme. Das ist mein erster Auftritt bei Tageslicht“, sagt Ute aus Erfurt. Ihre blonde Perücke sitzt straff, das Gesicht mit den herben Zügen ist sorgfältig geschminkt. Ute ist Udo, und Udo ist Ute. Beim 4. Nationalen Transvestiten- und Transsexuellen-Treff (TV/TS) in Chemnitz jedoch ist er/ sie einfach Ute. Zu Hause, auf der Arbeit ist Udo ein Transvestit und Szeneneuling, hetero und verheiratet.

Ute sitzt neben Jeanette aus Thüringen, beide lachen mit Franziska aus Chemnitz und Birgit aus Mittweida über die entsetzten Grimassen des Busfahrers, als dieser seine Passagiere am vergangenen Samstag zum ersten Mal erblickt – 15 Transvestiten und Transsexuelle, einige grell, andere dezent geschminkt. Ihr Ziel: Die Augustusburg im Erzgebirge, wo am Wochenende Hunderte von Touristen den Nachlaß des sächsischen Kurfürsten August besichtigen.

Der Bus steht im Stau. Franziska schnattert munter drauflos, schwärmt vom Parfüm „Priscilla Presley“ und dem Schnauzbart des Busfahrers. Birgit berichtet von der Operation, die ihr in drei Monaten endlich den passenden Körper verleihen wird, Jeanette und Ute reden über ihre Ehen. Utes Frau zum Beispiel schneidert Röcke für beide, bringt mal eine Handtasche, dann eine Bluse für Ute/Udo vom Einkaufsbummel mit. Jeanette hat Kinder, vier und acht Jahre alt, empfindet „abgöttische Liebe“ für die Familie. Sie zögert mit einer endgültigen Operation hin zur endgültigen Frau: „Ich bin noch nicht soweit.“ Paul, 33jähriger Vorsitzender der Chemnitzer Lesben- und Schwuleninitiative (CheLSI), hat den Camcorder geschultert und filmt, wie Birgit, Jeanette, Franziska, Ute und all die anderen aus dem Bus steigen und durch den Innenhof der Augustburg ziehen, vorbei an staunenden und spottenden Besuchern. Väter greifen nach ihren Kindern („Alex, schau da nicht hin“), ein Senior holt die Ritsch-Ratsch aus der Tasche.

„Ein Spießrutenlauf auf dem Weg zur Frau“, sagt Jeanette. „In der Gruppe und damit halbwegs anonym“ sollen sich gerade TV/ TS-Neulinge bei den Ausflügen der Chemnitzer Transengruppe „draußen ausprobieren“, erläutert CheLSI-Chef Paul. Nach der Gründung der CheLSI 1990 schloß sich dem Homoverein sofort der TV/TS-Treff an: Eine rührige, etwa zehnköpfige Gruppe, die mit Gesprächskreisen, Partys, bundesweiten Treffen und Öffentlichkeitsarbeit für Farbtupfer im grauen, prüden Chemnitz sorgt, inzwischen die CheLSI und damit die nichtkommerzielle Schwulenszene in der Stadt dominiert.

Die Transen füllen in Chemnitz ein Vakuum – ungewollt. „Die meisten von uns haben mit Schwulen herzlich wenig gemeinsam. Lieber würden wir unser eigenes Ding durchziehen“, sagt Ute. Doch die Chemnitzer Transen waren vor der Wende zu tief verwurzelt in der Homoszene, hatten auf zu vielen der legendären DDR-„Tuntenbälle“ in Karl-Marx-Stadt mit Hunderten Homos aus Rostock, Frankfurt/Oder und Prag gefeiert, als daß sie sich von den Schwulen lösen konnten.

Inzwischen gilt Chemnitz in der Transenszene als Hochburg, die hiesige Gruppe ist bundesweit bekannt. Jeanette zum Beispiel holt sich beim nationalen Transentreff Anregungen für den Aufbau einer Selbsthilfegruppe in Thüringen: „Die sind hier in Chemnitz eindeutig weiter als wir.“