Kap Horn voraus!

■ Am Kap der Guten Hoffnung: Eine neue Künstlerkolo-nie in Gröpelingen stellt sich dem Rest der Stadt vor

So muß das Künstlerleben wohl sein. Licht und Luft erfüllen das Atelier; vom Zeichentisch gleitet der Blick auf die Schiffe im Hafen, links glänzt ein Paar Futtermittelsilos malerisch in der Mittagssonne. „Dieses Licht!“ seufzt die Künstlerin. „Das beste, das es gibt!“ Und die Umgebung: „Surreal praktisch“, irgendwie, dies ganze Industriegedöns. Das inspiriert. Maricke Heinz-Hoek ist eine von wohl 30 Künstlerinnen und Künstlern, die sich vom Schmauchen, Zischen und Brummen der Gröpelinger Hafenbetriebe bedampfen lassen: Seit Jahresbeginn haben sich die bis dato teils heimatlosen Kunstschaffenden an der Kap-Horn-Straße eingerichtet, in den Gebäuden eines ausgedienten Weinhandelskontors. Schon ist die Bude voll, sind alle Ateliers besetzt. Morgen will die neue Initiative geballt an die Öffentlichkeit treten. Die „Gröpelinger Kulturtage“ stehen an; da hängen sich die Künstler dran und präsentieren sich, ihre Werke und die lichte Pracht ihrer Räume ganztägig den geneigten Besuchern.

Wo es qualmt und dreckelt, da läßt sich die Kunst naturgemäß gern nieder. Diesmal aber hat nicht allein die Ruinenromantik verfallener Fabrikhallen die Künstler hergetrieben: Die blanke Raumnot wies den Weg an den Stadt- und Hafenrand. Für manche ist es das erste vernünftige Atelier nach Jahren des Werkelns in der heimischen Küche. Oder der erste Arbeitsplatz überhaupt. Claudia Kandel hat sich nach dem Abschluß an der hiesigen Kunsthochschule vergeblich auf dem kleinen Markt billiger Gewerberäume umgeschaut. Zu schweigen von den nicht vorhandenen städtischen Gastateliers, die der BBK immer und immer fordert und doch nicht bekommt. Bleiben Glücksfälle wie das Gröpelinger Haus. „Hier habe ich den täglichen, praktischen Austausch mit anderen Künstlern“, sagt Kandel. Und schon sitzen sie sechs Mann und Frau hoch auf dem Kandelsofa, süppeln Starkkaffee und sinnieren vor sich hin.

Daß „man nicht so isoliert ist“, dieser alte Künstlerwunsch ist für viele der Leute der Antrieb für den Aufbruch ins Gröpelinger Neuland gewesen. Ein bißchen weit draußenm sei's ja schon, räumt Stefan Winkler ein. „Aber ich war einfach neugierig, was hier draußen ist.“ Und das ist inzwischen eine ganze Menge.

Zwei Speditionen, eine Modemacherin, ein Fotostudio und diverse andere gewerbliche Betriebe mischen sich da mit dem Künstlervölkchen. In den strahlend hellen Räumen von „Delphin Design“ entstehen Tür an Tür Skulpturen und die erste Modekollektion der Firma, dieweil nebendran ein Herr Markus Wehner, Jungunternehmer reinsten Wassers, seinen Baumaschinenhandel vorantreibt; ein paar Türen weiter grübelt Marikke Heinz-Hoek über ihre nächsten Konzeptkunststücke nach. „Das hier ist eben was Gewachsenes“, preis sie den Wildwuchs unter den Mietern, „da kommen Sachen zusammen, die sonst nirgendwo berühren.“

So liebt es auch Herr Hermann Henrich Wenke, der Ermöglicher des neuen Künstleridylls. Per Zettelaushang in der Kunsthochschule hat der ebenso bescheidene wie praktisch denkende Hausverwalter, der vormals gar als Geschäftsführer des betreffenden Weinkontors firmierte, die Räume Anfang des Jahres feilgeboten. „Superräume!“, sagt Wenke. Alles renoviert, nach dem Verkauf der Gebäude an „Investoren“ aus Frankfurt. Die Uni und selbst die Stadt aber hätten die Büroräume nicht haben wollen. Es fahre ja eh nur eine Straßenbahnlinie heraus. Da hing Wenke den Zettel aus. Und freut sich über die neue Künstlerkolonie, die in allen Ecken des Gebäudes rumort.

Irgendwo im Zwischendeck des Hauptgebäudes hat Gloria Del Martzo ihre Leinwände aufgeschlagen. Ein fensterloser Raum – der einzige im Haus, aber besser als gar kein Platz. Und so billig. Die teureren Ateliers kosten die Künstler unter 300 Mark; bei ungemütlicheren Räumen gewährt Menke schon mal Preisnachlaß und kann sich im Image des Kunstfreunds sonnen. Del Martzo mag das „gute Ambiente; man hat manchmal das Gefühl, das hier ist gar nicht mehr Bremen.“ Wichtiger sind ihr die guten Verbindungen im Haus. Der Fotograf schräg gegenüber lichtet ihre Bilder für einen Katalog ab. Bei den Musikern im Erdgeschoß hängt sie gern eben wegen der guten Musik rum. Und immer wieder wegen der Leute. Antje und Detlef, die hier an ihrem „Gothic-Pop“-Projekt proben, sind hier praktisch „sowieso fast wie zuhause“. Heute schenken die Musiker, Künstler und sonstigen Kulturmenschen für alle aus. Ab 11 brodelt's in der Küche, und im Rest des Hauses sowieso. Thomas Wolff

„Tag der offenen Tür“, Kap Horn-Str. 7 - 9, ab 11 Uhr