■ Die CDU stigmatisiert Arbeitslose
: Welch kulturelle Verarmung!

Ist es üble Hetze oder Kalkül, was sich die CDU kurz vor den Wahlen traut? „Wir müssen sicherstellen, daß Sozialleistungen den wirklich Bedürftigen zugute kommen. Wer nicht arbeiten will, bekommt weniger Sozialhilfe“, äußert Wolfgang Schäuble in der Bild. Neu sind die Androhungen nicht, aber es stimmt nachdenklich, mit welcher Vehemenz die Union auch noch im Endspurt des Wahlkampfes die Betroffenen als Arbeitsunwillige stigmatisiert. Die CDU muß sich sicher sein, mit dieser Taktik auf breites Verständnis bei den Wählern zu stoßen. Nicht nur in der Frage der Sozialhilfe übrigens. Gut in Erinnerung ist noch der Beschluß des Bundeskabinetts in diesem Sommer, die Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre zu befristen und die Leute dann in die Sozialhilfe fallenzulassen.

Inwieweit solche Beschlüsse wirklich in die Tat umgesetzt werden können, ist zwar fraglich. Denn bekanntlich mangelt es schon jetzt an Jobs für „arbeitswillige“ Sozialhilfeempfänger. Und die Befristung der Arbeitslosenhilfe dürfte zu einem Aufstand der Länder und Kommunen führen. Aber die Machbarkeit der sozialen Kürzungen ist nur ein Aspekt. Interessanter ist die Frage, woher die Christdemokraten eigentlich die Sicherheit nehmen, so unverblümt den Abbau von Sozialleistungen anzukündigen und Bedürftige zu stigmatisieren. Die CDU ist davon überzeugt, daß solche Äußerungen die Wahlentscheidung der Mehrheit nicht zu ihren Ungunsten beeinflussen werden. Im Gegenteil, die Hetze gegen „Sozialbetrüger“ macht deutlich: die Christdemokraten setzen fest auf die Spaltbarkeit dieser Gesellschaft in Mehrheiten und Minderheiten. Letztere sind jene, die nehmen, ohne zu geben – was in der westlichen Marktwirtschaft als Todsünde gilt (in vielen anderen Kulturen übrigens nicht).

Dabei wird von den Christdemokraten nicht nur die Spaltung zwischen jenen mit Arbeit und solchen ohne ausgenutzt. Sicher, die 3,5 Millionen Arbeitslosen machen nur 6 Prozent der 60 Millionen Wahlberechtigten aus. Die Empfänger von Sozialhilfe stellen rund 3,8 Prozent. Das sind also Minderheiten, aber auch innerhalb dieser Minderheiten kann sich die CDU noch gewisser Solidarität sicher sein. Nicht wenige Erwerbslose sind durchaus der Meinung, andere in gleicher Lage machten es sich schon mal zu leicht. Und eine starke Hand, die durchgreift, sei hier besser als ein laxer Wohlfahrtsstaat. So wird erklärlich, warum laut Umfragen ein Drittel der arbeitslosen Wähler für die CDU stimmen will. Mit ihrer Hetze gegen „Sozialbetrüger“ haben die CDU-Wahlstrategen also nur die Zeichen der Zeit erkannt: auf den Trend zur Individualisierung zu setzen in einer Gesellschaft, in der die persönliche Biographie nur noch zu einer Frage von Aufstieg oder Niedergang wird. Welch kulturelle Verarmung! Barbara Dribbusch