Steine fliegen durchs Glashaus

■ Der Wirtschaftssenator, die Drucksache 94/1219 und die Kommunikationsspielregeln

War ja auch zu und zu ärgerlich für Erhard Rittershaus. Kaum war seine hochgeheime Senatsdrucksache Nummer 94/1219 zum Zustand der maroden Hamburger Stahlwerke (HSW) fertig, da konnte der Wirtschaftssenator den als „streng vertraulich“ deklarierten Inhalt auch schon im Abendblatt nachlesen. In nur drei Stunden zwischen letzter Korrektur, Druck und Einschließen im Stahlschrank, schimpfte Rittershaus danach, „muß das Ding rausgegangen sein“.

Der von der Statt Partei nominierte Polit-Novize witterte Verrat an seinen laufenden HSW-Verkaufsbemühungen und schaltete am Donnerstag die Staatsanwaltschaft ein, um der Indiskretion im eigenen Hause auf die Spur zu kommen (taz berichtete). Die wird nun, so Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger gestern zur taz, ein Ermittlungsverfahren wegen „Verrats von Dienstgeheimnissen“ anstrengen. Ein in der Hamburger Rathaus-Geschichte einmaliger Vorgang, gehören doch gezielte Indiskretionen von Behördendrucksachen zum politischen Alltagstrott der Hansestadt.

Mehr noch: Vorab-Veröffentlichungen über die Medien sind unverzichtbarer Bestandteil gerade auch des internen Informationsflusses in der politischen Klasse Hamburgs. Kaum eine Woche vergeht, ohne daß ReferentInnen, fleißige Sekretäre oder kopierkundige Überzeugungstäter ihren ganz privaten Beitrag zur „Aktion gläsernes Rathaus“ leisten. Nicht selten sorgen die Senatsmitglieder höchstpersönlich für die Verbreitung ihrer Drucksachen.

Die taz, wie die Konkurrenz aus den Häusern Springer und Gruner + Jahr häufige Adressatin entsprechender brauner Umschläge, wird in derartigen Fällen nicht selten um eine spezielle Verwendung des Inhalts gebeten. Etwa so: „Bitte bringt es erst am Dienstagmorgen, direkt vor der Senatssitzung. Dann wirkt es am frischesten.“

Die Initiatoren derartiger Transparenz-Akte bedanken sich nicht selten sogar höchstpersönlich: „Dank Ihrer Veröffentlichung haben wir wenigstens noch eine Diskussion über unsere Vorlage zustande gebracht.“

Dabei ist die Motivlage der GeheimnisverräterInnen höchst unterschiedlich. Eine kleine Auswahl:

– Der Typ Überzeugungstäter verrät sich durch erruptive Äußerungen: „Die Sauerei muß raus.“

– Typ Kampagnentäter weiß, was Sache ist: „So setze ich meine politischen Gegner im Senat unter Druck.“

– Typ linksdemokratischer Loser jammert dagegen bescheiden: „Durch kriegen wir das Ding eh nicht. Aber wenigstens diskutieren will ich es nochmal.“

– Auch sehr verbreitet: der Typ „subversives Element“, der schlicht und einfach Spaß daran hat, durch Indiskretion für Unruhe zu sorgen und sich an den Folgen zu weiden: „Noch in der Nacht hat der Senator den Pressesprecher aus dem Bett geklingelt! Ha Ha!!“

– Schließlich, ganz bieder, der Typ moderner Infomanager: „So kriegen es die, die es angeht, schneller zu lesen.“

Warum also Rittershaus' ganz und gar ungewöhnliche Reaktion? Dem Wirtschaftssenator wohlgesonnene Senatsmitarbeiter verweisen auf die besondere Brisanz der Drucksache 94/1219 und auf den möglicherweise geringeren Kaufpreis, der nunmehr für die HSW zu erzielen sei. Eine Geschäftsschädigung an der Hansestadt sozusagen.

Gegen diese Version spricht, daß der im Rittershaus-Papier zusammengefaßte und nicht gerade zum Kauf anreizende Zustand der Stahlwerke ohnehin schon wohlbekannt war. Die Drucksache bestätigte diesen Eindruck nur noch einmal hochoffiziell.

Weshalb einiges für die zweite Version spricht, nach der Rittershaus' Gang zum Staatsanwalt eher auf politische Unerfahrenheit zurückzuführen ist. „Überreaktion“ meint ein Rathaus-Insider. Rittershaus habe „mit dieser Kriminalisierungsattacke gegen die ungeschriebenen Gesetze der Hamburger Politik verstoßen“, befindet gar ein anderer.

Und der Ex-Hamburger Jobst Fiedler, heute Oberstadtdirektor von Hannover, sekundiert: „Moderne Politik weiß, daß alles, was sie schriftlich oder in einem etwas größeren Kreis verhandelt, am nächsten Tag in den Medien stehen kann. Politiker müssen sich dementsprechend verhalten.“

Rittershaus' Vormann Henning Voscherau, im Gegensatz zu seinem Wirtschaftssenator mit den Indiskretionsspielregeln allerbestens vertraut, hat seinen Kenntnisstand einmal so zusammengefaßt: „In Hamburg kostet eine Intrige 23 Pfennig.“ Selbst Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, in dessen Amtszeit der heutige Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow als oberster Verlautbarungschef mit heftigen Zensurambitionen werkelte, mußte bei seinem Abschied vor den Hamburger Medien einräumen: „Politik ist in Hamburg eine überaus transparente Angelegenheit.“

Uli Exner/Florian Marten