Sanssouci
: Vorschlag

■ Musikfilme mal anders: Les-Blank-Retrospektive im Arsenal

Filme über Musik prägen sich auf eine seltsame Art im Gedächtnis ein: Es sind meist die scheinbaren Nebensächlichkeiten, die wie Kaugummi im Hirn kleben bleiben. Die Schmetterlinge, die die Rolling Stones „in the Park“ für den toten Brian Jones in den Himmel steigen ließen, Leute, die von Ordnern von der Bühne geworfen werden, oder die barbusigen Schlammkinder von Woodstock. „Reine“ Musikfilme, die naiv ein Konzert abzubilden versuchen, sind dagegen fast immer ziemlich langweilig.

Dem Regisseur Les Blank scheint das Kunststück gelungen zu sein, Musikfilme zu drehen, die zwar von Musik handeln, gleichzeitig aber – manchmal durch Kleinigkeiten – auf ihre Entstehungs- und Produktionsbedingungen verweisen. Und auch wenn der Film „Ry Cooder – Let's Have A Ball“ (1988) kaum mehr als ein abgefilmtes Konzert ist, so passiert hier doch something else. Nicht nur weil Ry Cooder zu Beginn sagt: „Erschreckt nicht vor dem Licht – Les Blank macht heute abend einen Film.“

In „Chulas Fronteras“, einem einstündigen Les-Blank-Film von 1976, stehen wir plötzlich mitten auf einem staubigen Acker und könnten eigentlich gleich helfen, die Zwiebelsäcke auf einen Anhänger zu werfen. Ein Dreizehnjähriger erzählt uns, wie er von Mexiko illegal in die USA kam und das Allerwichtigste im Leben lernte: Treckerfahren. Die Wanderarbeiter in Blanks Film haben nichts zu verkaufen als ihre Arbeitskraft. Als hätte olle Marx Koregie geführt, werden sie aufgefordert, endlich in die Gewerkschaft einzutreten.

„Chulas Fronteras“ ist aber beileibe kein marxistischer Propagandafilm. Blank schnappt mit seiner wie zufällig in die Landschaft gehaltenen Kamera Merkwürdigkeiten auf, wie die Taufe eines Cadillacs. Oder die Arbeit einer Schallplattenpresse, die für jede neue Platte mit einem Klumpen Vinyl und zwei Papierlabeln gefüttert sein will. Diese Szene verweist selbstironisch auf Blanks Film selbst: Er zeigt uns, wie Musik entsteht.

Denn das Leben und vor allem Arbeiten der „Mexican Americans“, wie sie sich selbst nennen, wird zusammengehalten durch die wundervolle Mischmaschmusik TexMex. Im „Valley“, wie die Mexikaner das Tal des Rio Grande in Texas nennen, lernt man vorm Treckerfahren noch schnell das Tastenspiel auf der Hohner-Quetschkommode. Die Bands nennen sich vertriebenenmäßig Los Pinguinos del Norte und spielen überall, wo man eben gerade ist (oder trinkt). Niedlichste Szene des Films: ein Spontanauftritt auf einer Wiese, bei dem die Musiker von hinten von Pferden geschubst werden. Andreas Becker

„Chulas Fronteras“ und andere Filme derzeit bei der Les-Blank- Retrospektive im Arsenal, Welserstraße 25, Schöneberg