Knick in der Spirale

Erstmals auch in Berlin: Eine Firma wollte mit einem Gewinnspiel nach dem Schneeballprinzip Naive um jeweils 4.500 Mark prellen  ■ Von Barbara Bollwahn

Nur wenige Tage nach den Feiern zur deutschen Einheit gibt es von einem aktuellen Beispiel deutsch-deutscher Annäherung zu berichten. Wieder einmal haben Bürger aus den neuen Ländern ihren Brüdern im Westen über die Schulter geschaut und versucht, den Aufschwung Ost selbst in die Hand zu nehmen. Entweder waren die Westschultern zu hoch, oder der Durchblick der Ostler war wegen der Aussicht auf das große Geld zu vernebelt – der Versuch jedenfalls ging in die Hose.

Am Dienstag abend störten Beamte des Gewerbeaußendienstes gegen 20.30 Uhr die gemütliche Runde von 80 Personen, die mit Vertretern einer angeblichen Produktmarketing-Firma aus dem kühlen Mecklenburg-Vorpommern beisammensaßen, um ins Geschäft zu kommen. Mit einem läppischen Einstiegsbetrag von 4.500 Mark konnte man einsteigen. Jeder, der diese Summe einzahle, würde beim Anwerben von weiteren Person jeweils 1.500 Mark Provision erhalten, so das verlockende Angebot der 32- und 36jährigen Geschäftsführer aus Mecklenburg-Vorpommern. Bei drei geworbenen Neueinsteigern wäre somit der Einsatz wieder eingenommen, verspricht die verführerische Logik des Spiels.

Glück im Unglück des Gewinnspielkarussells hatte der Großteil der Beteiligten in der Dienstagsrunde, die wenige Minuten vor Eintreffen der Beamten ihren Obolus entrichtet hatten. Neben 42.370 Mark Einstiegsbeiträgen, die die Beamten bei der Durchsuchung der angemieteten Veranstaltungsräume und von Zimmern eines Hotels in Steglitz beschlagnahmten, konnten weitere 83.500 Mark sichergestellt werden und sofort im Anschluß wieder die Besitzer wechseln. Die fast Gelackmeierten waren noch einmal davongekommen und konnten aufatmen.

Keine Zeit zum Luftholen blieb hingegen den beiden Geschäftsführern und zehn sogenannten Gruppen- und Generalmanagern, die seit Ende August ihr Unwesen in Berlin treiben. Gegen alle zwölf wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Beamten des Gewerbeaußendienstes konnten die „Spielleiter“ zwar vorübergehend festnehmen, so Gewerbehauptkommissar Thomas Sonnenschein gestern. Aber weil sie feste Wohnsitze im Norden Deutschlands nachweisen konnten, mußten sie wieder in die Freiheit entlassen werden.

Obwohl bei der Durchsuchung umfangreiche Beweismittel beschlagnahmt wurde, sind Sonnenschein im Moment die Hände gebunden. Denn alle Beteiligten, gegen die die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, haben Widerspruch gegen die Durchsicht der betrügerischen Papiere eingelegt. Aber der Gewerbehauptkommissar ist sicher, daß die Staatsanwaltschaft eine „Entsiegelung“ der Unterlagen durchsetzen wird.

Nach dem Coup am Dienstag hat die Polizei alle Zeugen, die eventuell an weiteren Veranstaltungen dieser Art teilgenommen haben, zahlende Mitglieder wurden oder Näheres wissen, aufgefordert, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen. Bis gestern haben sich immerhin fast fünfzig Personen gemeldet, die entweder schon eingezahlt oder eine Spielveranstaltung besucht hatten oder von ähnlich unglückseligen Umtrieben zu berichten wußten.

Für Sonnenschein ist diese Art Gewinnspiel völlig neu im Berliner Bereich. Die Teilnahme an einem nach dem Schneeballprinzip funktionierenden Spiel allein jedoch ist nicht strafbar. Nur wer aktiv wird, das heißt weitere Teilnehmer wirbt und Provisionen kassiert, macht sich nach Paragraph 6 c des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs wegen progressiver Kundenwerbung strafbar.

Für Sonnenschein ist klar: „Aus Jux und Dollerei macht das keiner.“ Es seien die immensen Gewinnchancen, die zum Mitmachen inspirieren würden. Denn Provisionen erhalte man nicht nur von den selbst Geworbenen, sondern auch von denen, die die Geworbenen wiederum anwerben. Die Werber, sogenannte „Einzelhändler“, können dann auch in der Hierarchie zu „Gruppen- und Generalmanagern“ aufsteigen. Ein Glückskarussell, das sich dreht und dreht und dreht – bis es zusammenbricht.

Personen, die geschädigt wurden oder von Geschädigten wissen oder anderweitige Informationen über Glücksspielfirmen haben, können bei der Polizei anrufen: 24372525.