Hübsch geschminkte Illusion

■ Woran der Fremdenverkehr in den neuen Bundesländern krankt

Scharenweise zogen die Touristiker nach der Wende gen Osten. „Der Fremdenverkehr“, frohlockten sie in den Gemeinden, „wird euch reich bescheren. Beantragt ihr die Gelder, wir erstellen euch maßgeschneiderte Konzepte.“ Die Universität Greifswald hat für Mecklenburg-Vorpommern etwa siebzig solcher Konzepte analysiert. Fazit der Experten vom Geologischen Institut: In vielen Fällen erwiesen sich die verheißungsvollen Studien als maximale Fehleinschätzung. Schön gefärbt, aber illusorisch. Da wurden Gelder einkalkuliert, die kein Investor zu zahlen bereit (und fähig) ist. Da wurden Rahmenbedingungen sträflich vernachlässigt: Die Pläne versahen kleinste Orte mit großen Bettenkontingenten – ungeachtet der fehlenden Infrastruktur wie Verkehrsleitsysteme oder Kläranlagen. Gleichzeitig jonglierten die Westtouristiker mit falschen Besucherzahlen. In Brandenburg werden für über 20.000 Golfspieler Plätze errichtet. Einer Analyse zufolge steht dem eine Nachfrage von 10.600 Golfern gegenüber.

Solche Fehler verwundern nicht. „Teilweise haben sich die Macher aus München, Hamburg oder Amsterdam nie vor Ort sehen lassen“, sagt der Greifswalder Geologe Martin Bütow. „Statt dessen wurden in alte Studien einfach neue Namen und Zahlen eingesetzt.“ Andere haben Konzepte ohne einen entsprechenden Maßnahmenkatalog für die Umsetzung geliefert. Später auftretende Fragen interessierten sie dann nicht mehr. Beispielsweise, ob ein Konsens zwischen Kreisverwaltung, dem regionalen Fremdenverkehrsverband und den Investoren besteht. Für derlei Studien – über zwei Drittel wurden direkt ad acta gelegt – hat der Steuerzahler rund sechs Millionen Mark allein für Mecklenburg-Vorpommern berappen müssen.

Der Tourismus zwischen Rostock und Dresden darbt. Die Fremdenverkehrsvertreter wissen oft selbst nicht so genau, warum Urlauber ausgerechnet in ihre jeweilige Region reisen sollen. Ohne Profil treten die Länder gegen die innerdeutsche Konkurrenz an. Strategische Sichtweisen bleiben auf der Strecke. Zu oft sitzen in touristischen Regionalverbänden unqualifizierte ABM-Kräfte: ohne Erfahrung, ohne den Blick auf die Konkurrenz. Bei dieser selbstzerstörerischen Fürstentum-Mentalität interessiert kaum, ob die Nachbargemeinde gerade an einer ähnlichen Idee puzzelt. Vernetztes Denken ist Nebensache. Als die Diener des Einheitskanzlers unmittelbar nach der „Wende“ mit der monetären Gießkanne durch den Osten zogen, haben die Gemeindeväter, jeder für sich, ganz laut „hier!“ geschrien. Fördersysteme nach dem Zufallsprinzip.

Dabei wird die Dimension des Tourismus von den Politikern unterschätzt. So gibt es etwa für die Agrarwirtschaft eigene Landesministerien, obwohl dieser Sektor in Bundesgebieten wie Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr als 30.000 Personen beschäftigt. Tourismusministerien gibt es nicht. Obwohl der Fremdenverkehr inzwischen ebenso flächendeckend arbeitet und mindestens genauso viele Personen beschäftigt. Und bald werden es viel mehr sein. Um diese Belange kümmert sich lediglich ein Referat in einer Abteilung des Wirtschaftsministeriums.

Das ist auch eine Niederlage für die Fremdenverkehrsverbände. Bis heute ist es diesen Interessenvertretungen nicht gelungen, Druck auf die Politik auszuüben. Und so entstehen ohne qualifizierte Kontrollmechanismen gigantische Tourismusprojekte. Später werden es Investitionsruinen sein, Geisterstädte, in denen niemand wohnen möchte. Kritik an dieser planlosen Erschließung gibt es kaum. Westliche Touristiker „mit Einsicht“ schweigen dazu. Ihnen genügt, daß ihre Ökopfeile grüne Strategen aus den Reihen der Reiseveranstalter gebrochen haben. Tourismus ist kein gesellschaftspolitisches Thema. Trotz aller regionalen Konsequenzen wird er als Privatsache gehandelt. Reisen heißt frei sein — vor allem im Osten. Und wer dort diese neue Freiheit für sich in Anspruch nimmt, muß sie, so scheint es, auch den Machern im eigenen Land zugestehen. Tomas Niederberghaus