Die letzten Tage der MS Schwaetzer

Wie Bauministerin Irmgard Schwaetzer im Wahlkampf den leckgeschlagenen liberalen Kahn vor dem Absaufen zu retten versucht / Auch bei mehr als fünf Prozent sind ihre Ministerinnentage gezählt  ■ Von Bascha Mika

Kein Plakat kündigt Irmgard Schwaetzer in Darmstadt an. Kein Flugblatt, keine Stellwand weist auf die Frau hin, die als stellvertretende Vorsitzende immerhin die Zweitstimme der FDP ist. Der Wahlkampf der Ministerin läuft gut getarnt. Große Säle, kampflustige Parteiaktivisten, hitziges Publikum – Fehlanzeige. Als Schwaetzer aus Bonn anrauscht, ist der Saal mit beachtlichen 48 Menschen gefüllt. Man kennt sich untereinander, ist Parteimitglied oder Sympathisant. Die Naturgesetzpartei mobilisiert ähnliche Massen.

Stramm wie eine Eins steht Schwaetzer am Podium, den Rock in adretter Länge, die Knie fest durchgedrückt, die Miene zum leichten Lächeln geronnen. Ihre Garderobe kaschiert die Körperformen mehr, als sie zu betonen, das Make-up ist kaum so sichtbar. Ganz taffe Karrierefrau mit jener unterdrückten Weiblichkeit, die 90 Prozent der Bonner Politikerinnen als Schlüssel zum Erfolg sehen.

Von der ehrgeizigen Nase bis zum Schuh sendet Frau Ministerin eine Botschaft: Ich lass' mich nicht unterkriegen. Habe im Männerladen FDP fiese Intrigen und bittere Niederlagen hinnehmen müssen, aber die Schlacht um die Macht noch nicht aufgegeben.

Das Publikum klimpert mit seinen Mittelstandsjuwelen, Schwaetzer spricht über „Bürgergeld“, „Tariföffnungsklauseln“ und daß es genügend Arbeit gebe, „nur nicht zu diesen Preisen“. Für Leistung plädiert sie, gegen Steuern und für weniger Staat. Sie argumentiert als knallharte Wirtschaftsliberale, die zu allem Überfluß von sich behauptet, sie habe „politische Visionen“ und ein „sozialpolitisches Gewissen“. Diese Art von programmatischem Geschwätz und Liberallala eben, die Satiriker Loriot tadellos in einem Satz zusammengefaßt hat: „Liberal ist im liberalen Sinne liberal.“

Die freidemokratischen Stereotypen fließen der Politikerin leicht aus dem Mund, ihre Gesten sind kärglich und verhalten, doch ihr Timbre ist angenehm kräftig. Dann macht sie einen Fehler. „Feuer frei für Ihre Fragen!“ ruft sie den ZuhörerInnen mit erhobener Stimme zu – und enthüllt damit ihr ganzes Dilemma: Leidenschaftlich soll es klingen, lau und lahm kommt es heraus. Statt Begeisterung zu entfachen, verbreitet diese Rednerin nur Gefriergetrocknetes. Den Enthusiasmus einer zielstrebigen leitenden Angestellten.

Ausgerechnet dieser steifen Frau hat Kanzler Kohl den Tip gegeben, sich „durchzulächeln“, als sie im letzten Jahr als Ministerin in Bedrängnis geriet. Falsche Empfehlung. Zwar gehört auch ein breites Lächeln zum öffentlichen Repertoire Irmgard Schwaetzers, das Wärme, ja Herzlichkeit ausstrahlen soll. Doch es nimmt niemanden für sie ein. Zu leicht ist die Starre dahinter erkennbar. Diese Frau kann nicht lockerlassen.

Zur Entspannung hat sie momentan allerdings auch keinen Grund. Schon lange hat sich Schwaetzer ihrer Partei voll ausgeliefert, war stets dienstbar als Alibifrau. Da durfte sie denn auch Generalsekretärin, Schatzmeisterin und Staatsministerin werden. Doch dann fing sie an zu fordern: 1988 den Partei-, 1990 den Fraktionsvorsitz, 1992 das Amt des Außenministers. Und scheiterte. Immer wieder. „Früher war ich die Vorzeigefrau“, beklagte sie sich damals, „aber seit ich nach Nummer-eins-Positionen strebe, habe ich es schwer.“

Sie stolperte über Altvater Genscher, der sie erst aufbaute und dann fallenließ, über ränkeschmiedende Parteikollegen (Schwaetzer zu Möllemann: „Du intrigantes Schwein!“) und über ihren eigenen, männlich geprägten Ehrgeiz, der sie die Macht der Männer fahrlässig unterschätzen ließ. „Ich habe früh gelernt, in männlichen Kategorien zu denken und mich entsprechend zu verhalten“, sagt sie über sich und meint es selbstbewußt.

Drama einer Anpassung: Das Märchen vom kleinen Irmchen, das glaubte, den garstigen Frosch in Bonn nur oft genug küssen zu müssen, um große Parteikarriere zu machen. Sie küßte und küßte – doch der gewünschte Effekt blieb aus. Statt dessen blieb ihr die kleine Karriere. Und ein angewiderter Zug um den Mund.

Als ihr Traum vom Außenministerium zerplatzte, bekam sie einen bundesweit beachteten Heulkrampf. Doch ihrer Partei zahlte sie es nicht heim, sondern sie blieb brav im Bauressort. Öffentlich spricht sie von einer „schönen Aufgabe“ und beschwert sich nur heimlich über diesen „Mist-Job“. Bis zum Wahlkampf brachte sie es tatsächlich fertig, die Wohnungsnot in Deutschland schlichtweg zu leugnen. Und das bei zwei Millionen fehlenden Unterkünften allein im Westen.

Für den Mieterbund ist sie ein rotes Tuch. „Schwaetzer? Hoffentlich erledigt sich das Problem von selbst“, hofft der Sprecher des Verbandes. In marktfixierter Manier begünstige sie die Hauseigentümer und die betuchten Häuslebauer. Die Belange der Mieter ignorierend, vertrete sie nur die Interessen der besitzenden FDP-Klientel.

Doch nicht wegen der Kritik an ihrer Amtsführung halten die Parteifreunde schon die nächste Niederlage für Irmgard Schwaetzer bereit: Das Bauministerium steht als erstes zur Disposition, wenn die FDP aus taktischen Gründen nach der Wahl Zugeständnisse an die CDU machen muß. „Der Lack war ab nach der Außenministergeschichte“, sagt Ralph Lange, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen, „auch für andere wichtige Posten in der Partei traut ihr niemand mehr die Kraft zu.“

Ein Auslaufmodell, so wie ihre Partei. Vier Fünftel der Bundesdeutschen haben mit der absaufenden FDP keinerlei Mitleid, sagen Umfragen. Drei Viertel sprechen ihr eine wichtige Rolle im Parteiensystem ab. Doch so düster die Aussichten für den liberalen Kahn sind, so zappenduster sind sie für die MS Schwaetzer. Hinter ihr steht kaum noch jemand.

Zu oft schon wurde lauthals ihr Rücktritt gefordert. 1993, als sie sich – nach dem Motto „Kleinkorruption ist keine Korruption“ – als Ministerin für eine dubiose Immobilienfirma engagierte. Und auch in diesem Jahr, als die Fundamente des Bonner „Schürmannbaus“ – ein Bürohaus für Abgeordnete – in den Hochwassern des Rheins untertauchten.

In ihrer Partei hat die Ministerin keine Hausmacht. Zwar ist Schwaetzer Vorsitzende der „Bundesvereinigung Liberale Frauen“, setzt sich für eine straffreie Abtreibungsregelung ein und fordert eine Frauenquote für die FDP. Doch daß die Frauen ihr den Rücken stärken, reicht nicht aus. Sie kann sich weder auf ihren nordrheinwestfälischen Landesverband noch auf wichtige Bonner Kreise stützen. Irmgard Schwaetzer, die sich ihr Schicksal immer von der Partei hat diktieren lassen, wird wohl noch vor ihr sinken.

Trotzdem funktioniert diese Frau weiter. Streicht bei ihrem Wahlkampfauftritt in Darmstadt selbstsicher ihre „Erfolge“ im Bauministerium heraus, betont fast beschwörend die „Reformprojekte“ für die nächste Legislaturperiode und hastet weiter zum nächsten Termin.

In Berlin pfeift der Wind über den Ku'damm, doch die Liberalen, die hier einen winzigen Stand aufgebaut haben, klappern nicht deshalb mit den Zähnen. „Mensch, strengt euch doch nicht so an, ihr kommt doch sowieso nich' über fünf Prozent!“ ruft ihnen ein Passant fröhlich zu. Das ist schon das Aufmunterndste, was die Politaktivisten hier zu hören kriegen.

Wie die Zeugen Jehovas stehen sie da und versuchen ihre Flugblätter und Programme an die Leute zu bringen. Und werden genauso ignoriert. Schlimmer: einfach ausgelacht. Jeder zweite Fußgänger zeigt offen dieses hämische Grinsen, das die Stimmung in Sachen Freidemokraten bloßlegt bis auf den Nerv: Ihr seid fertig! Drei Jungs interessieren sich nur für die gelbblauen Baseballkappen, und eine junge Frau brummt erbost: „Bleiben Sie mir vom Leib, Sie haben den Liberalismus verraten!“

Solche Szenen erspart sich Ministerin Schwaetzer. Statt auf dem Ku'damm zu frieren, begibt sie sich lieber in die anheimelnde Wärme von „Nachbarschaftspartys“. Eine Wahlkampfspezialität der Freidemokraten, bei der man sich im kleinen Zirkel trifft und ungestört die liberale Idee entfaltet. Das ist zwar nicht gerade massenwirksam, dient aber der Motivation in den eigenen Reihen.

Da hockt die Ministerin also auf einem braunen Plüschsofa in einem Einfamilienhaus in Berlin- Wedding, futtert winzige Blätterteigpasteten und fordert die kleine Zuhörerschaft streng auf: „So, jetzt bin ich ja hier, um Ihre Fragen zu beantworten. Also fragen Sie.“ Selbst in diesem kleinbürgerlichen Wohnzimmer mit seinen 15 Gästen ist sie angespannt bis in die Haarspitzen. Und hat plötzlich auch allen Grund dazu. Denn hier sitzen ihr ganz andere Liberale gegenüber, als sie gewohnt ist. Solche, die nicht wie Schwaetzer, Kinkel und Co. an der Macht kleben. In harschen Tönen kritisieren sie die Wohnungsbaupolitik als uneffektiv und unsozial. „Wenn Sie behaupten, die Wohnungsbaupolitik reformieren zu wollen, Frau Schwaetzer, warum haben Sie es in Ihrer Amtszeit nicht längst getan?“ Auch die Linie der Partei findet kein bißchen Gnade. „Reform it dringend nötig.“ – „Liberalismus ist doch nicht nur Wirschaftsliberalismus.“ – „Durch die Niederlage könnten wir uns wieder auf unsere eigenen Themen besinnen.“ – „Wenn wir auch bei der Bundestagswahl nicht mehr ins Parlament kommen, ist das keine Tragödie. Vielleicht sogar eine Chance.“

Solche Einsichten von Parteifreunden täten Frau Ministerin Schwaetzer zwar gut, doch sie hört sie nicht mehr. Sie ist bereits gegangen.