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Friedensdividende gesucht

Die Westbank und der Gaza-Streifen brauchen internationale Finanzhilfe für den Wiederaufbau / Konferenz in Marokko Ende Oktober  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Als Israels Außenminister mit dem Hut herumging, bekam er viele gute Worte. 2,2 Milliarden Dollar versprach die internationale Gemeinschaft für den Aufbau der Infrastruktur in den besetzten Gebieten des Gaza-Streifens und der Westbank. Aber bisher ist fast kein Geld eingetroffen: Die Geberstaaten und die Weltbank, die die Gesamtaufsicht übernommen hat, überweisen die dringend benötigten Schecks nur zögernd. Bis Mitte September erhielten die Palästinenser nur 65 Millionen der für 1994 zugesagten 720 Millionen Dollar, bilanzierte Faruk Kaddum, Außenminister der PLO und Vizedirektor des „Palestinian Economic Council for Development and Reconstruction“ (PECDAR).

Immerhin hat die Weltbank dieser Tage bekanntgegeben, daß jetzt ein „Nothilfsprogramm“ in Höhe von 128 Millionen Dollar für palästinensische Infrastrukturprojekte bewilligt wurde. Teil dieser Summe ist ein langfristiger 30-Millionen-Dollar-Kredit der Weltbank für den Gaza-Streifen.

Vor allem die USA drängen darauf, daß wenigstens ein Teil der versprochenen Hilfsgelder endlich in die Hände der Palästinenser fließen, damit zumindest 1995 erste Zeichen eines Aufschwungs sichtbar werden. Denn ohne wirtschaftliche Besserung wird die Opposition zu Arafats Autonomie-Arrangement wachsen und die Friedensverhandlungen mit arabischen Nachbarn gefährden.

Israels Umgang mit der Westbank und dem Gaza-Streifen ist ambivalent. Einerseits dürfen nur noch etwa 40.000 Palästinenser in Israel arbeiten – zwei Drittel weniger als früher, so daß die Arbeitslosenrate dort nach wie vor bei fast 50 Prozent liegt. Zum anderen setzt Israel darauf, noch mehr Waren in die Westbank und den Gaza- Streifen zu exportieren; schon in den letzten Jahren führten die beiden Gebiete die israelische Ausfuhrstatistik an.

Vor allem die Tatsache, daß die Palästinenser auf eine eigene Währung verzichten mußten, wird auch künftig dafür sorgen, daß sie weiter wirtschaftlich von Israel und Jordanien abhängig bleiben. Zudem wird jede internationale Hilfe für die autonomen Gebiete den Devisenreserven Israels oder Jordaniens zugute kommen. Israelische Banken und Handelsfirmen beabsichtigen, von allen Investitionen in der Westbank und im Gaza- Streifen zu profitieren.

Die wichtigeren Wirtschaftsperspektiven aber erhofft Israel sich von anderer Seite. „Die wirkliche Dividende des Friedens wird nicht in Wirtschaftsbeziehungen mit Ländern des Nahen Ostens bestehen. Sie wird von draußen kommen, als Resultat des Gefühls in der Welt, daß hier was passiert. Multinationale Unternehmen werden in diese Region einsteigen“, sagt der Präsident der Vereinigung israelischer Handelskammern, Dani Gilerman. Erst vor kurzem habe man hohen Besuch von Daimler-Benz gehabt. Die Deutschen wollen ihre Hauptvertretung für den Nahen Osten in Tel Aviv einrichten. Gilerman versteht die Geste so: „Für uns sind die arabischen Staaten die Brücke in eine Welt, die uns bisher verschlossen war. Und wir sind in ihren Augen die Brücke nach Europa und in die USA.“ Auch für arbeitsintensive Produktionen bietet sich Israel künftig als Standort an: In Jordanien sind Arbeitskräfte billig. „Das ist eine bequeme Situation, die es anderswo in der Welt nicht gibt“, meint der Generaldirektor der Textilfirma Delta.

Die Regierung in Jerusalem setzt große Hoffnungen auf eine internationale Geschäftskonferenz, die Ende Oktober in Casablanca stattfinden wird. Zahlreiche hohe Staatsbeamte, Privatfirmen, Investoren aus allen Teilen der Welt und „einige hundert multinationale Unternehmen – vor allem aus Europa, den USA und Japan“ werden anwesend sein, verkündete Außenminister Schimon Peres. Besonders wichtig ist ihm auch die Anwesenheit prominenter Vertreter der arabischen Welt. Denn sein Land hofft auf eine endgültige Aufhebung des arabischen Wirtschaftsboykotts.

Konkret schlägt Israel die Gründung einer Entwicklungsbank für den Nahen Osten vor, die bei der Finanzierung gemeinsamer Bauten behilflich sein soll. In Israel und einigen anderen Ländern sollen internationale Investitionszentralen errichtet werden. Bereits gedruckt ist eine Broschüre mit 150 Vorschlägen für regionale Projekte, für die 25 Milliarden Dollar gesucht werden. Es handelt sich in erster Linie um Wasserprojekte mit israelischer, palästinensischer und jordanischer Beteiligung.

Organisiert wird die Casablanca-Konferenz vom World Forum (Davos) und dem US-Ausschuß für Auslandsbeziehungen. Marokkos König Hassan II. hat sich bereit erklärt, den Vorsitz zu übernehmen. Bill Clinton und Boris Jelzin stellen das Ehrenpräsidium, lassen sich aber nur durch ihre Außenminister vertreten. Aus Israel kommt mindestens die Hälfte der Regierungsmitglieder, begleitet von hohen Staatsbeamten und den Vertretern der 50 größten Firmen des Landes.

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