Viel Gesumm um die Deckenlampe herum

■ Mit „Ich, die Fliege“versucht die Bremer Shakespeare Company ,Texte von Fernando Pessoa zu umkreisen

Was hat es nur mit den Schreibtischtätern auf sich? Letzten Monat mußten wir in „Alles Lügen“ abwarten, bis Shakespeare seine Sonette neu geschrieben hatte. Jetzt sitzt in „Ich, die Fliege“ der portugiesische Josef K. vor uns. Aber hier wird keiner in einen Käfer verwandelt. Die Fliege summt. So harmlos und ordinär wie die Fliege ist, so lästig ist sie als Zimmergenossin. Mit der dramatischen Inszenierung von Fernando Pesoas „Buch der Unruhe“ präsentiert die Shakespeare Company ein Fragment der Irritation.

Die Bühnenszenen, die der Protagonist umschwirrt, entstammen dem „Buch der Unruhe“, einer der letzten Geheimwaffen der Literatur. Bei Erscheinen 1982 löste die Fragmentsammlung eine literarische Sensation aus,. Der Autor Fernando Pessoa (1888-1935), der in seiner Heimat Portugal den Status eines Nationalheiligen genießt, war doch schon ein halbes Jahrhundert tot und bislang nur als Lyriker bekannt. Nun lag ein literarischer Karteikasten auf den Tischen der Buchhandlungen. Ausgewählt aus einem schier unglaublichen Nachlaß von 27 543 Fragmenten präsentiert das “Buch der Unruhe“ ein Kaleidoskop von Innenaufnahmen. Auf jeder Seite überrascht ein anderer Blickwinkel, ein anderer Erzähler-Ich, absurd und phantastisch wie des Insekts - „Ich, die Fliege.“

Der Schauspieler Christian Dieterle und Karen Jens, die Bearbeitung und Regie übernahm, haben sich für ihr schwieriges und kaum lösbares Unterfangen der Dramatisierung an den Hilfsbuchhalter Bernardo Soares gehalten, der im Original, als fiktiver Verfasser herhalten muß. Da werden die Ärmelschoner übergestülpt, die Feder kratzt übers Papier und schon beginnt der ewige Kampf mit den Texten. Papiere flattern, vergessene Briefe erschrecken den Pratogonisten. Aber auch wenn die Bühnenrequistiten in einer Aktentasche Platz finden, wieder und wieder feuchte Tinte trocken gerollt wird, und endlos Aktenblätter sauber über Eck gestapelt werden. Es nichts. Mit pedantischem überkorrektem Gestenrepertoire wird ein Büroangestellter vom Anfang des Jahrhunderts lebendig, dem der Autor Pessoa, der selbst sein Leben lang als Handelskorrespondent die Brötchen verdienen mußte, über die Schulter lugt.

Aber die Personen, durch deren Augen Pessoa die Welt' beschreibt, lassen sich so kaum wachküssen. Das liegt in der Natur der Sache.Die Fragmente, ganz der geschriebenen Sprache verhaftet, verweigern sich der Bühne vehement. So sehen wir wieder einen auf der Bühne, der erst das Schreiben neu erfinden will, während wir ungeduldig unsere Theaterlust auf den hoffentlich nächsten Shakespeareabend verschieben müssen. Nur wenn extreme Ansichten grelle Akzente setzen, öffnet sich ein Blick in die Innenwelt des Fernando Pessoa. Da schwankt der sprachliche Spitzentanz zwischen größter Euphorie und tiefster Depression, zusammengehalten nur durch die Überzeugung von der Einzigartigkeit seiner Existenz.

“Ich habe es stets abgelehnt , verstanden zu werden. Verstanden werden heißt, sich prostituieren“.- Ein kleiner Interessenkonflikt, schließlich will das Publikum verführt werden. Und wenn der Autor sich schon sperrt, wer soll dann den Part der Hure übernehmen ,wenn nicht das Theater. In Elisabethanischen Zeiten alles eine Frage des Bestechungsgeldes. Heute spielt bei der Shakespeare Company offensichtlich ihr künstlerische Selbstverständnis im Verführungsspiel nicht mehr mit. Was Wunder, daß nach ein einhalb Stunden kaum mehr bleibt, als ein Hilfsbuchhalter, eine Fliege und die Wiederentdeckung des Autors Fernando Pessoa. Susanne Raubold

Nächste Vorstellung:29.10