■ Gastkommentar
: Verludertes Grün

Die semiprofessionellen Gewalttäter vom 3 Oktober können nicht gemeint sein, wenn Bürgermeister Fücks das Bremer Fest erklärt. Politisch Hirnlose erreicht kein Argument - Ihnen noch nachträglich Öffentlichkeit zu verschaffen, ist Dummheit. Warum trotzdem soviel Rechtfertigungsaufwand des grünen Regenten? Weil er die Skepsis der jungen Deutschen gegenüber staatlich verordneten Festveranstaltungen mit nationalem Inhalt kennt. Schließlich hat er lange Jahre selbst so gedacht. Wer den verlorenen Haufen der Primitivanarchisten ablehnt, identifiziert sich noch lange nicht mit nationalen Feiertagen, auch nicht mit dem Tag der Deutschen Einheit.

Das junge Deutschland droht mehrheitlich ins Lager der mancherorts schon stärksten Partei abzuwandern, der der Nichtwähler. 45 Jahre Demokratie in Deutschland haben zu einer unpolitischen Generation geführt, die mit den Parteien und ihren Repräsentanten fertig ist. Die Jugendorganisationen der Parteien sind untrügliche Indikatoren. Bei Parteiversammlungen schweift der Blick über Glatzen und Silberhaar.

Ach Grün, wie warst Du einst beneidet als Aufbruch der Jugend gegen das erstarrte politische Establishment der Republik, daß sich der Sachzwänge wegen mit allem arrangiert hatte. Man muß heute auf grüne Mitgliederversammlungen gehen, um zu sehen, wie Grün verludert ist. Die jungen Wähler wissen es längst, Ministeriale wie Fücks regieren quasi ohne Basis. Sie sind die Partei.

Was mich aufregt, ist nicht nur der entsetzliche Zustand, daß nach zwei Generationen Demokratie in Deutschland politische Lähme das Land überzieht und angesichts brennender Horizonte Showtalente und Dürrdenker das Sagen haben. Politischer Einheitsbrei schmiert alles zu. Was mich noch mehr bedrückt, ist die gewaltige Integrationskraft unseres Herrschaftssystems. Alternatives politisches Denken wird durch Teilhabe an der Macht paralysiert.

Ralf Fücks verdeutlicht das. Ich habe noch den schneidenden Hohn im Ohr, mit dem er Reden wie die „Nachlese zum 3. Oktober“ einst bedachte, als er noch draußen vor der Tür alternativ dachte. Eine Polizeiarmee in der Stadt, mit Natodraht abgeriegelte Gebäude hätte er damals nicht mit dem bloßen Hinweis auf die nun mal nötige „safety-first - Maxime“ erklären lassen. „Eine Demokratie, die ihren höchsten Feiertag in Festungsgewahrsam feiern muß, hat allen Grund über sich nachzudenken“, wäre noch die zahmste Formulierung gewesen.

Schreckliche Verödung aber bewirkt der Anpassungsdruck, wenn stolz auf die differenzierten CCB-Reden verwiesen wird. Ach Ralf, muß ich Dir wirklich sagen, daß die Politik in diesem Lande gerade darum abgewirtschaftet hat, weil ihren guten Reden niemand glauben kann.

Wir alle machen unseren Frieden mit der Welt. Mußtest Du aber allem so gründlich abschwören, daß Dir zum 3. Oktober nichts außer dem Fall der Mauer und der Selbstauflösung der DDR einfällt? Bis dahin lebten die Nachkriegsdeutschen ohne Identität in einem West- und einem Oststaat. Und weil sich's ohne Identität schlecht leben läßt, bekamen beide ihre politischen Neurosen. Die Einheit hätte Chance für eine Heilung werden können. Was ist des Deutschen Vaterland? Das ist nicht mehr die Frage nach den Grenzen, das ist die Frage nach der Gerechtigkeit, in der wir leben. Die Antwort bleiben wir schuldig. Und weil die Jungen diese Antwort brauchen, resignieren sie und rebellieren hie und da unpolitisch und verwahrlost mit Gewalt. Und Du verweist auf gute Reden!

Die Konsequenzen aus den Erfahrungen der 68er Generation sollen weitergegeben werden. Was aber sind die? Werdet wie Fücks, so wie er einer von uns geworden ist? Wollen wir wirklich weiter Proselyten machen ? Haben wir Dich so von uns überzeugt, Ralf? Das wollte ich nicht.

Horst-Werner Franke,

Bildungssenator a.D.