Stadtmitte
: Marktwirtschaftlicher Realitätssinn

■ Wenn Konzerne Geld für Sozialprojekte lockermachen, ist das eine Chance

Wenn gespart werden muß, trifft es meist als erste die sozialen und pädagogischen Initiativen. Das wird teils zähneknirschend hingenommen, teils als Abbau lebenswichtiger Dienstleistungen laut beklagt. Als dritte Reaktionsform erklingt in jüngster Zeit der Ruf nach social sponsoring:

Die Wirtschaft soll einspringen, um Projekte zu fördern und die finanziellen Lücken nicht noch größer werden zu lassen. Die Bereitschaft, sich der freien Wirtschaft zu öffnen, ist bei den Betroffenen gespalten. Während die Verbandsspitzen für eine Kooperation relativ offen sind, herrschen an der Basis noch starke Berührungsängste.

So sagt man, von bestimmten Firmen dürfe man doch kein Geld nehmen, weil sie das schützenswerte Tropenholz verwenden oder sich an der Vergiftung der Umwelt beteiligen. Man befürchtet, sich dem Teufel zu verkaufen, und wahrt lieber die geziemende Distanz. Diese Abwehrhaltung zeugt im Ausnahmefall von edler Gesinnung, im Normalfall von Mangel an Realitätssinn; und das aus drei Gründen.

Wichtig ist erstens die obrigkeitsstaatliche Vorstellung unserer sozialen und pädagogischen Institutionen vom Staat. Für öffentliche Träger zahlt der Staat alles, für freie Träger das meiste. Sich vom Staat finanzieren zu lassen gilt als problemlos, sich von der Wirtschaft finanzieren zu lassen dagegen nicht.

Denn man meint, diese habe ausschließlich ein perfides Verwertungsinteresse und werde sich durch die Förderung Einfluß kaufen, während jener eine in sich ruhende, nicht an Interessen gebundene Institution sei. Deswegen verträgt sich die Sprödigkeit beim Kontakt mit der Wirtschaft blendend mit der Bedenkenlosigkeit dabei, vom Staat soviel Geld abzugreifen wie möglich.

Zweitens läßt sich beobachten, daß das praktische Auftreten im sozialen und pädagogischen Bereich die Mechanismen der Marktwirtschaft bereits weitgehend übernimmt. Die Initiativen operieren auf dem schwankenden Boden von Angebot und Nachfrage. Einrichtungen in freier Trägerschaft sprechen offen davon, daß der Markt für soziale Angebote, etwa für Jugendhilfe und Kinderschutz, immer enger wird, da die Themen „Kind“ und „Jugend“ Konjunktur haben und eine Profilierung des Anbieters immer schwieriger machen.

Drittens ist ebendeswegen der soziale und pädagogische Bereich immer mehr um Selbstdarstellung und Imagepflege bemüht. Denken wir nur an Prüfungen, Lehrproben und auffällige Projekttage in der Schule oder an Unternehmungen mit erlebnispädagogischem Charakter und spektakuläre Veranstaltungen, etwa zum „Tag des Kindes“. Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie ein Schauspiel inszenieren, das sich vorzeigen, beurteilen und verkaufen läßt.

Was heißt das alles? Das heißt, daß die mentalen Bedingungen für das social sponsoring schon viel stärker gefestigt sind, als mancher annimmt. Die Wirklichkeit eilt dem Bewußtsein voraus. Noch ist allerdings das Volumen des social sponsoring sehr gering und beträgt nur einen Bruchteil eines Promille der gesamten Aufwendungen im sozialen und pädagogischen Sektor. Aber das könnte sich mit der Zeit ändern. Wenn es auf der einen Seite mit der Wirtschaft wieder aufwärtsgeht, und wenn auf der anderen Seite die Barrieren in den Köpfen fallen, dann läge vielleicht im social sponsoring, wenigstens für Teilbereiche, eine gewisse Chance. Die notwendige Grundversorgung bliebe beim Staat, die wünschenswerte Zusatzversorgung könnte frei verhandelt werden. Dr. Heinrich Kupffer

Pädagogik-Professor i. R.