: Desinteresse an Zivilcourage
■ Thierse wahlkämpfte gegen Gewalt / Mehr als 40 Berliner interessierte das aber nicht / Gute Idee kam erst am Schluß
Der ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl ließ sich so wenig blicken wie Berlins ehemaliger Polizeipräsident Klaus Hübner. Als einzig geladender Prominenter kam nur der SPD- Bundestagskandidat Wolfgang Thierse gestern ins Maxim Gorki Theater, wo er sich mit der Charlottenburger Ausländerbeauftragten Azize Tank und Michael Effertz von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit dem Thema „Zivilcourage gegen Gewalt“ redlich Mühe gab.
Vielleicht interessierten sich die Berliner so wenig für Zivilcourage wie Hübner und von Stahl, oder sie hatten einfach geahnt, daß es bei der Runde an Spannung fehlen würde – es erschienen nur 40 Interessierte. Und wie so oft bei diesen Veranstaltungen mangelt es nicht an dem Willen, Skinheads, Rechtsradikalen oder sonstigen Gewalttätern entgegentreten zu wollen – die Frage ist nur, wie. Doch darüber wurde lediglich am Rande debattiert. Statt dessen wiegte man sich in der Gewißheit von Altbekanntem oder Ressentiments. Bei den Revieren der Volkspolizei seien statt Personal nur „Türschilder ausgewechselt“ worden (GdP- Effertz), im Notfall komme die Polizei nicht oder zu spät (Azize Tank), unter zwölf Jahren Kohl- Regierung seien Unternehmer so stark bevorteilt worden, daß „diese massive Ungerechtigkeit offenbar aggressiv und wütend“ mache (SPD-Wahlkämpfer Thierse).
Offensichtlich falsch verstandene Zivilcourage bewies ein Gast, als er einen Beitrag eines anderen Gastes als zu lang tadelte. Denn der Kommentar gab kurz, aber allen ernstes Anlaß zu der Frage, wieviel Gewalt jener mit Worten ausgeübt habe. Ein Endvierziger brachte das Problem dann tatsächlich auf den Punkt: Die Gesellschaft fühle sich ohmächtig gegenüber der Gewalt von jenen Leuten, die sie selbst ausgegrenzt habe. Man müsse Zivilcourage organisieren und institutionalisieren. Der Mann mit Vollbart brachte dafür Beispiele aus dem hessischen Eschborn. Eltern hätten sich mit gewalttätigen Jugendlichen auseinandergesetzt, worauf die Randale in einem Jugendclub nachgelassen habe. Bedauerlicherweise kam dieser Beitrag am Ende der Veranstaltung und nicht am Anfang, so blieb keine Zeit mehr, um solche Beispiele auch für Berlin zu diskutieren. Dirk Wildt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen