■ Schweden: Wieviel Süßes braucht der Mensch?
: Knast für Zuckerdealer

Stockholm (taz) – Mario Miletitch dürfte der weltweit erste Gefangene sein, der hinter schwedischen Gardinen sitzt, weil er Zucker verkaufte. Miletitch gehört ein kleiner Lebensmittelladen im mittelschwedischen Karlstad. Dort gibt's das, was es in jedem ordentlichen Lebensmittelladen zu kaufen gibt: Milch, Brot, Mehl, Marmelade, Käse und eben Zucker. Im Frühjahr waren zwei Kunden von Mario Miletitch wegen illegalen Schwarzbrennens geschnappt und verurteilt worden. Im Ermittlungsverfahren sagten sie aus, den Zucker, den man dazu braucht, Hochprozentiges etwas interessanter zu machen, in Marios Laden gekauft zu haben. Sechs Kilo jede Woche.

Für die Staatsanwältin Susanne Widlund reichte das, den Ladenbesitzer wegen Mithilfe zum Schwarzbrennen anzuklagen. Obwohl er nicht wußte, wozu seine Kunden den Zucker verwendeten: „Was soll mich interessieren, was meine Kunden mit Zucker machen? Und wenn sie daraus nach einem neuen Geheimrezept eine Atombombe bauen!“ Das Amtsgericht in Karlstad sah das anders: Es verurteilte Mario Miletitch zu einem Monat Gefängnis. Die Begründung des Gerichts: der Händler hätte sich gefälligst Gedanken über den hohen Zuckerbedarf seiner Kunden machen sollen. Ein Konsum von sechs Kilo in der Woche sei nicht normal, immerhin hätte er innerhalb von drei Jahren etwa 1.000 Kilo Zucker an die beiden Kunden verkauft. Er hätte damit den Schwarzbrennern ihre dunklen Geschäfte erleichtert.

Mario versteht die Welt nicht mehr. In welchem Gesetz steht, daß der Verkauf von Zucker strafbar ist? Vielleicht auch bald von Hefe oder Hirschhornsalz? Schwarzbrenner verwenden je nach Geschmack Kartoffeln, Getreide oder Ketchup. Müsse er sich jetzt nach der Kinderzahl erkundigen, wenn Kunden mehr als zwei Flaschen Ketchup auf einmal kaufen? „Einer erzählte, er sei Bienenzüchter und brauche das für seine Bienen. Darf ich das glauben?“ Mario Miletitch macht sich jetzt viele Gedanken hinter seiner Ladenkasse, vor allem über die Blindheit von Frau Justitia.

Jeder schwedische Supermarkt, der auf sich hält, bietet seinen KundInnen drei bis vier laufende Meter an „Essenzen“ an. Die braucht man, um aus dem schwarzgebrannten Rohalkohol trinkbares Gesöff zu machen. Die Geschmacksskala reicht von Whisky und Wodka bis zu Eierlikör, Kirsch- und Karamellengeschmack. Keine gängige Markenalkoholsorte, die sich farblich und geschmacklich mit diesen Essenzen nicht aus dem klaren Schwarzgebrannten nachmischen ließe. Und vieles, von dem ein unwissender Kontinentaleuropäer noch nie etwas gehört, geschweige denn geschmeckt hat. Sündhaft teuer sind diese Essenzen – und heiß gefragt. In Marios Laden gibt es die Alkoholessenzen nicht, dabei wären sie doch viel eher als „Mithilfe zum Schwarzbrennen“ einzuschätzen. „Oder“, so der Händler, „glaubt wirklich ein Richter, diese Sachen stehen im Laden, weil ein Schwede sich aus dem im Systembolaget [staatlicher Alkoholladen] legal gekauften Wodka etwa Whisky oder Johannisbeerlikör zusammenmischen will?“

Ein Argument, mit dem er Frau Staatsanwältin Widlund auf eine neue Fährte gelockt hat: „Wir werden uns einmal darum kümmern müssen, wie wir den Verkauf von Essenzen einschätzen müssen. Beispielsweise von Aktivkohle und solchen Sachen.“ Der Schreiber dieser Zeilen wird in Zukunft mit klopfendem Herzen einkaufen: er verbraucht nämlich jede Woche sechs Päckchen Hefe – zum Backen. In drei Jahren sind das weit über 1.000 Gramm! Ungewöhnlich viel? Bestimmt für Frau Widlund. Reinhard Wolff