■ Die Slowakei auf dem Sonderweg und trotzdem im Trend: Sieg des linken Populismus
Im Jahre fünf nach den samtenen Revolutionen schien sich in ganz Ostmitteleuropa ein klarer Trend abzuzeichnen: Die 1989 Besiegten hatten sich neu formiert und kehrten im Gewand der „demokratischen Linken“ in die Regierungspaläste zurück. In Polen hatte schon im vergangenen Jahr ein Bündnis aus Blockflöten-Bauernpartei und gewendeten Kommunisten die Verwaltung der Solidarność-Tradition übernommen, in Ungarn gewannen im Frühsommer die Nachfolger der Gulasch-KP die absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Und in der Slowakei, so erwarteten alle politischen Beobachter, würde die ex- kommunistische „Partei der demokratischen Linken“ (SDL) bei der Regierungsbildung ein entscheidendes Wort mitsprechen. Ihr Vorsitzender Weiß galt als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Premierministers, seinen Wende-Linken wurden zwanzig Prozent zugetraut.
Über die Ursache dieser erneuten Wende gab es keinen Zweifel: Konservative und Liberale hatten mit der Durchsetzung des freien Spiels der marktwirtschaftlichen Kräfte das Vertrauen der Bevölkerung verspielt. Mit der Rückkehr der Linken verbanden viele auch die Hoffnung auf eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen. Ein häufig zu hörender Satz im slowakischen Wahlkampf lautete: „Ein Kilo Kartoffeln kostet jetzt doppelt so viel wie früher, da muß doch etwas nicht in Ordnung sein.“
Nach den Wahlen von Anfang Oktober scheint die These vom Linkstrend Ostmitteleuropas jedoch widerlegt. Zumindest auf den ersten Blick. Selbst im Bündnis mit Dubčeks Sozialdemokraten, Grünen und Bauernbewegung erhielt die SDL bei den slowakischen Parlamentswahlen gerade zehn Prozent. Summiert man die Stimmenanteile vergleichbarer linker Parteien in der Tschechischen Republik – einem Land also, das aufgrund der stabilen Wirtschaftslage die Sozialdemokratie in die Hoffnungslosigkeit treibt – wird der Einbruch noch deutlicher. Die tschechische Linke ist nun stärker als die slowakische.
Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, daß der Einbruch der SDL den Linkstrend Osteuropas eher bestätigt als widerlegt. Denn die SDL hat ihre Wähler nicht an rechte Gruppierungen, sondern an einen ihrer Ableger, das neugegründete „Bündnis der Arbeiter“ verloren. Dieses aber hatte den E-Kommunisten „Verrat“ an den Interessen ihrer Klientel vorgeworfen: Nachdem die Linken im März in die Regierung eingetreten waren, hatte SDL-Frau Schmögnerová es gewagt, den neuen Kartoffelpreis zu verteidigen. Einer solchen Übernahme liberaler Wirtschaftsprinzipien wollte die Hälfte der alten SDL- WählerInnen nicht zustimmen.
Das slowakische Wahlergebnis zeigt den anderen linken Regierungsparteien Ostmitteleuropas somit eine wenig erbauliche Perspektive. Sowohl in Polen als auch in Ungarn haben die Wende-Kommunisten entgegen aller Wahlrhetorik den Wirtschaftskurs der Konservativen fortgesetzt. Wenn ihnen damit keine Steigerung des Lebensstandards gelingt, werden auch sie nicht verschont bleiben. Wen aber wählen Ungarn und Polen dann?
Die Slowaken zumindest haben in dem Arbeiterbündnis und seinen populistischen Losungen nach Preissenkungen und Lohnerhöhungen bereits eine Alternative gefunden. Die Zahl derjenigen, die die Transformation der Wirtschaft aufhalten möchten, übersteigt ihren Stimmenateil von rund acht Prozent jedoch bei weitem. Denn auch die „Bewegung für eine demokratische Slowakei“ unter Vladimir Mečiar, politische Heimat vieler ehemaliger KP-Funktionäre, hat ihren Wahlkampf mit antikapitalistischen Parolen geführt. Selbst in den als rechts und liberal geltenden Parteien gibt es – ebenso wie in den Organisationen der ungarischen Minderheit – so manchen, der staatliche Eingriffe in die Wirtschaft für ein Allheilmittel hält. Rechnet man noch die überwiegende Mehrheit der Nichtwähler hinzu, wird deutlich, daß rund 70 Prozent dem wirtschaftlichen Umbau mehr oder weniger ablehnend gegenüberstehen. Die einzig wirklich wirtschaftsliberale Partei des Landes, die „Demokratische Partei“, aber scheiterte bei den Wahlen an der Fünfprozenthürde. Die Slowakei, ein Paradies der Lenker und Leiter?
Der slowakische Sonderweg überrascht um so mehr, als das Land nicht gerade mit einer langen linken Tradition aufwarten kann. Im Unterschied zu Tschechien hat die Mehrheit der Bevölkerung bei den ersten Wahlen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht „freiwillig“ für die Kommunisten, sondern für eine konservative Partei gestimmt. Anders als in Prag ging es 1968 in Bratislava nicht um die Suche nach einem anderen, demokratischen Sozialismus, sondern um die Verwirklichung der nationalen slowakischen Interessen.
Anders als in Böhmen gab es in der Slowakei jedoch auch keine größere Oppositionsbewegung gegen die realsozialistische Herrschaft. Von den KP-Führern zur Basis für Rüstungs-und Schwerindustrie bestimmt, wandelte sich das bis dahin landwirtschaftlich geprägte Land radikal. Die ersten Anzeichen der Rezession bemerkten die Slowaken kaum. Sie waren damit beschäftigt, ihr Eigenheim fertigzubauen. Unter den Kommunisten schien es aufwärts zu gehen.
Was Arbeitslosigkeit oder Inflation betrifft, steht die Slowakei kaum schlechter da als Ungarn oder Polen. Doch während sich die Bevölkerung der beiden Nachbarstaaten seit den siebziger Jahren an den langsamen Niedergang ihrer Wirtschaft „gewöhnen“ konnte, kam der Einbruch für die Slowaken unerwartet. Im Unterschied zu ihren Nachbarn verfügten die SlowakInnen zudem über einen Prügelknaben, den sie für all ihre Probleme verantwortlich machen konnten. Hatte das Land eben noch von Aufbau der Schwerindustrie profitiert, so warf es dem großen tschechischen Bruder nun vor, der Slowakei bewußt eine einseitige Entwicklung aufgedrückt zu haben. Nicht der slowakischen KP, sondern Václav Havel wurde der Stopp der Rüstungsproduktion angekreidet. Und auch die Ablehnung der Privatisierung hat ihre Ursachen weniger in antikapitalistischen Überzeugungen als im tschechoslowakischen Gegeneinander. Jahrzehntelang fühlte man sich am Gängelband Prags, nun will man endlich über die eigenen Angelegenheiten entscheiden.
Für die anstehende Regierungsbildung verheißt all dies wenig Gutes. Wäre der Anteil der Transformationsgegner noch höher, wäre eine Lösung einfacher. Dann könnte Mečiar es noch einmal allein versuchen, dann wäre er spätestens in zwei Jahren mit seinem Weg des ökonomischen Umbaus gescheitert. Und dann wären auch die Befürworter der Transformation endlich mehrheitsfähig. Statt dessen jedoch erlaubt das neueste Wahlergebnis nur eine Koalition beider Richtungen, ein Scheitern der Politik der neuen Regierung wird jede Seite auf die andere schieben. Vorerst lehrt das slowakische Beispiel vor allem eines: Eine demokratische Linke, die liberale Wirtschaftsreformen mitträgt, verliert. Der linke Populismus hat – noch einmal – gewonnen. Sabine Herre
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