„Hussein will die Sanktionen loswerden“

■ Der Menschenrechtler al-Hakim wirft dem Westen mangelnde Konsequenz vor

Sahib al-Hakim ist Vorsitzender der „Organisation für Menschenrechte im Irak“. 1982, drei Jahre nachdem Saddam Hussein Staatspräsident wurde, verließ er den Irak. Der Zahnarzt entstammt der schiitischen Familie al-Hakim. Zahlreiche ihrer Angehörigen wurden wegen ihrer oppositionellen Gesinnung oder ihrer Familienzugehörigkeit hingerichtet. Sahib al-Hakim lebt heute in London.

taz: Waren Sie überrascht, als Sie vom Aufmarsch der Truppen an der Grenze zu Kuwait hörten?

Sahib al-Hakim: Nein, ich war es nicht. Saddam Hussein steht unter Druck – von außerhalb und innerhalb des Irak. Besonders die UN-Sanktionen bedrängen das Regime. Saddam Hussein wird alles tun, um diese Sanktionen loszuwerden, darum will er Unruhe in die Region bringen. Mit Sicherheit will er die Nachricht an den UN-Sicherheitsrat schicken, daß er nicht gewillt ist, die Sanktionen weiterhin hinzunehmen. Erstens signalisiert er: Es gibt mich noch! Zweitens: Wenn ihr die Sanktionen nicht aufhebt, kann ich euch Schaden zufügen. Drittens zeigt er der irakischen Bevölkerung: Schaut, ich tue etwas für euch. Nicht ich bin für die Sanktionen verantwortlich, sondern der Westen, und um sie loszuwerden, gibt es keinen anderen Weg als Gewalt. Saddam Hussein braucht nur zum Telefon zu greifen und seinen Offizieren zu befehlen vorzurücken, und schon redet die ganze Welt über ihn.

Glauben Sie, daß Saddam Hussein Truppen tatsächlich über die Grenze schicken kann?

Ja. Er ist dazu in der Lage, weil er sich nicht um die Bevölkerung schert. Ihn interessiert es nicht, wenn Tausende Menschen getötet werden. Militärisch ist er immer noch sehr stark. Im Westen wird das unterschätzt.

Die Informationen über die militärische Stärke sind aber widersprüchlich. Kürzlich sagte der Chef der UN-Waffeninspekteure im Irak, Rolf Ekeus, Iraks Massenvernichtungsmittel seien weitestgehend zerstört. Wenig später hieß es von der CIA, der Irak werde innerhalb von maximal zehn Jahren in der Lage sein, eigene Atomwaffen herzustellen.

Ich stimme mit Herrn Ekeus nicht überein. Saddam Hussein versteckt seine Raketen sogar in Schulen. Erinnern Sie sich an das Ende des Golfkrieges. Damals sagte der Oberbefehlshaber der Alliierten, Norman Schwarzkopf, 60 bis 70 Prozent der irakischen Raketen seien zerstört. Diese Darstellung hat sich inzwischen als falsch erwiesen.

Was sollten UNO oder Golfkriegsalliierte jetzt machen?

Die westlichen Regierungen meinen es nicht ernst. Sie erlauben dem irakischen Vizepräsidenten Tariq Asis, um die ganze Welt zu reisen. Sie lassen zu, daß Saddam Husseins Halbbruder Barsan Takriti in Europa neue Niederlassungen des irakischen Geheimdienstes einrichtet, die die irakische Führung von dort mit Militärtechnologie versorgen. Sie lassen zu, daß das irakische Regime gute Kontakte nach Frankreich und Japan unterhält. Sie tun nichts dagegen. Die irakische Bevölkerung hat sich im März 1991 gegen Saddam Hussein erhoben. Damals haben die Iraker erfahren, daß der Westen sie nicht unterstützt.

Würde eine erneute Invasion inKuwait von der irakischen Bevölkerung unterstützt?

Nicht von der Mehrheit. Aber ich muß offen sagen, daß ein Teil der irakischen Bevölkerung glaubt, daß Kuwait zum Irak gehört. Saddam Hussein spielt viele verschiedene Karten.

Als die irakischen Panzer in Richtung der kuwaitischen Grenze rollten, forderte in New York der irakische Vizepräsident Tariq Asis vor der UNO, das gegen den Irak verhängte Embargo aufzuheben. Wie stehen Sie als irakischer Oppositioneller zu dem Embargo?

Die irakische Bevölkerung leidet unter den Sanktionen, viele hungern. Gleichzeitig reisen die Repräsentanten des Regimes um die ganze Welt. Tariq Asis durfte vor den Vereinten Nationen auftreten. Die irakische Opposition darf nicht mal deren Gebäude betreten. Die Sanktionen treffen die Opfer, während die Täter sich frei bewegen dürfen.

Würden Sie einen neuen militärischen Angriff gegen den Irak unterstützen?

Nicht so einen wie die vorhergegangen. Aber es gibt andere Möglichkeiten, die irakische Bevölkerung zu unterstützen. Dazu gehört etwa die offizielle Erklärung der UNO, daß man Saddam Hussein vor Gericht stellen will. Die UNO könnte Saddam Hussein auch gewaltsam zwingen, Öl zu exportieren und mit dem Ertrag Lebensmittel und Medikamente für die irakische Bevölkerung zu erwerben. Interview: Thomas Dreger