BürgerInnen ohne Stimme

■ Bei der Bundestagswahl sind MigrantInnen nur Zaungäste / Auch das kommunale Wahlrecht für EU-BürgerInnen schließt die TürkInnen aus

„Was soll man über Ausländerwahlrecht denn auch sagen, es gibt eben keines,“ bedauert Sibel Özel, türkische Verwaltungsangestellte in Bremen. In ihrem türkischen Bekanntenkreis macht man sich kaum Gedanken, darüber. „Woher denn auch, sie sind ja nie um ihre Meinung gefragt worden“. So ist eher eine resignative Stimmung im Kreise ausländischer MitbürgerInnen spürbar, wenn es um das Ausländerwahlrecht geht. Denn wenn am 15. Oktober Roman Herzog das deutsche Volk zur Wahl ruft, wird dieser Ruf auch von denjenigen gehört, die zwar Teil des Volkes sind, aber nicht unter der Definition des Volksbegriffes laut Artikel 116 des Grundgesetzes fallen: Das sind die 6,8 Millionen in Deutschland lebenden AusländerInnen der ersten und zweiten Generation.

„Egal ob man 20 oder 30 Jahren hier lebt, wenn man nicht wählen kann, fühlt man sich schon ausgegrenzt“, sagt Sibel Özel. Sie ist in Deutschland geboren, hat hier die Schule besucht und hat zu ihrer Heimat kaum mehr einen Bezug. Sie hat noch nie an einer Wahl teilgenommen und auch ihre Eltern, die schon seit Anfang der siebziger Jahre hier leben, haben seitdem in ihrem Land kein Kreuzchen mehr gemacht. Dafür müßten sie in der Türkei ihren Wohnsitz haben, und sich mindestens drei Monaten vor der Wahl dort aufhalten. Eigentlich ist es sehr einfach, das Wahlrecht zu bekommen: Man braucht nur die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, so argumentiert zumindest der deutsche Gesetzgeber. Derya Mutlu, türkischstämmiges Beiratsmitglied in der Neustadt, ist da anderer Meinung: „Die Diskussion um Wahlrecht und Einbürgerung muß getrennt voneinander geführt werden. Denn die Frage ist, ob man die AusländerInnen für unmündig oder mündig hält“.

Ein bißchen Mündigkeit soll nun den EU-AusländerInnen ab 1.1.1996 gewährt werden. Dann wird der Maastrich-Beschluß umgesetzt, wonach Unionsbürgerinnen in den Staten der Gemeinschaft das kommunale Wahlrecht bekommen sollen. Da aber Bremen keine kommunale Ebene hat, sollen sie nach dem Willen der Ampelkoalition und mit Zustimmung des Bundesrates an der Bürgerschaftwahl teilnehmen. Voraussetzung ist jedoch eine Grundgesetzänderung - und da macht der Bund nicht mit.

Während die grüne Senatorin für Ausländerintegration, Helga Trüpel, sich für eine Teilnahme von AusländerInnen an der nächsten Bürgerschaftswahl stark macht, verweist der liberale Innensenator van Nispen auf verfassungsrechtliche Bedenken. Die Gefahr einer Anfechtung der Wahl sei zu groß. Auch die Budesregierung stellt sich quer, da das Bremer Modell als Präzedenzfall für andere Bundesländer gelten könnte.

Unabhängig vom Ausgang dieses Streits werden die UnionsbürgerInnen ab 1996 in Deutschland auf kommunaler Ebenen wählen dürfen. Der überwiegende Teil der AusländerInnen in Bremen kommt aber aus Nicht-EU-Staaten, wie der Türkei und aus dem ehemaligen Jugoslawien. „Dadurch entsteht ein Dreiklassenwahlrecht“, sagt Matthias Güldner, Referent bei der Ausländersenatorin. „Das schafft noch mehr Ausgrenzung“, meint auch Sibel Özel.

Das Problem der Gleichberechtigung von AusländerInnen auch bei Wahlen wird durch die Gewährung des Kommunalwahlrecht an EU- BürgerInnen nicht aus der Welt sein. Senatorin Trüpel sieht aber darin einen Schritt zum kommunalen Wahlrecht für alle. Wie in Zukunft damit umgegangen wird, hängt auch vom Ausgang der Bundestagswahl am 16. Oktober ab. Daran darf Sibel Özel nicht teilnehmen. Unabhängig davon hat sie die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt. „Für mich persönlich ändert sich nichts dadurch“, sagt sie. Das Verfahren bis zu deren Gewährung dauert in der Regel ein bis zwei Jahre. Solange bleibt für sie jede deutsche Wahlurne tabu.

Luigi La Grotta